Mobilität von Morgen: Informationen und Service aus einer Hand

Mobilität lässt sich in Metropolregionen künftig nur noch dann gewährleisten, wenn verschiedene Verkehrsträger und -angebote optimal miteinander vernetzt sind. Ohne moderne Technik, ohne Hard- und Software wie e-Ticketing-Automaten oder sogenannte Hintergrundsysteme, die die Abrechnung einzelner Fahrten oder andere Nutzungen über ein elektronisches System auf sicherem Wege ermöglichen, lässt sich die Vernetzung aber nicht aufbauen. Zugleich sind umfassende Mobilitätsangebote der Zukunft zahlreichen Einflussfaktoren und Trends ausgesetzt, die heute erkennbar sind und in den nächsten Jahren erheblichen Einfluss auf die Entwicklung nehmen werden. Das ist das Ergebnis der zweitägigen Veranstaltung „Innovative Lösungen für die Mobilität von morgen“, die vom House of Logistics and Mobility (HOLM) in Kooperation mit dem Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV), der Rhein-Main-Verkehrsverbund Servicegesellschaft und Cubic im Dezember im HOLM-Forum veranstaltet worden ist.

Zu Beginn der Veranstaltung appellierte der Geschäftsführer des House of Logistics and Mobility (HOLM), Oliver Kraft, vor knapp 100 Gästen, dass es beim Thema „Mobilität“ immer auch darum gehe, die Akzeptanz der Kunden und Partner zu bekommen. Es sei heute nicht mehr ausreichend, Lösungen für Mobilität und Verkehr in kleinen Ingenieurbüros zu entwickeln. „Man muss heute auch Überzeugungstäter sein, in Bürgerforen gehen und die Leute überzeugen.“

Kraft: „Man muss heute auch Überzeugungstäter sein, in Bürgerforen gehen und die Leute überzeugen“

Für Kay Pätzold, Systems Engineering Manager bei Cubic Transportation Systems, ist das Smartphone die Maschine, mit der Kunden Intermodalität herstellen könnten, die Nutzung verschiedener Verkehrsmittel auf dem Weg von A nach B mit dem Smartphone zu organisieren und zu managen. „Jeder Zweite tippt drauf rum, man hat Smartphones wirklich überall dabei.“

Pätzold unterscheidet bei der Nutzung von Apps im ÖPNV zwischen zwei Kategorien:  Apps, mit denen die Kunden sich über Angebote informieren und Apps, mit denen Kunden den Fahrscheinverkauf organisieren könnten. Deutschland sei aber in dieser Frage immer etwas weiter als andere Länder: Mit der RMV-App, die seit 2006 in Betrieb ist, sei von vornherein auf eine integrierte Lösung gesetzt worden. Der Kunde informiert sich über die Angebote und Fahrzeiten und kann zugleich seinen Fahrschein mit der App erwerben.

Pätzold geht davon aus, dass mobile Lösungen künftig immer weiter vernetzt werden und dadurch zusätzlicher Mehrwert entsteht. Über das Mobiltelefon sei der Kunde dann in der Lage, Autos und Fahrräder zu mieten oder eine Parkgebühr zu zahlen. Dazu müsse lediglich eine Kreditkarten- oder die  SEPA-Nummer hinterlegt und ein Account für den Kunden eingerichtet werden.

Dr. Steinborn: „Qualität und Wirtschaftlichkeit: Ohne das eine geht das andere nicht“

Eine verlässliche Reisekette ist nach Einschätzung von Dr. Uwe Steinborn vom Institut für Bahnsysteme und Öffentlichen Verkehr an der TU Dresden entscheidend für die Qualität des ÖPNV und für die Kundenzufriedenheit. Kundenzufriedenheit bedeute Einnahmesicherung, Qualität und Wirtschaftlichkeit hingen voneinander ab. „Ohne das eine geht das andere nicht“, sagte Dr. Steinborn. Kriterien für eine verlässliche Reiseketten seien in der Reihenfolge ihrer Relevanz die Anschlüsse, die Kundenorientierung des Anbieters, ausreichend Informationen und die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit des Systems. Mit zufriedenen Kunden könnten mehr Reisende für den ÖPNV gewonnen werden. „Wenn ich mehr zufriedene Kunden habe, habe ich weniger Aufwand, ich muss weniger Reserven vorhalten und habe weniger Krankheitsfälle in der Belegschaft, weil der Betrieb stressfreier abläuft.“

Als Herausforderung bezeichnete Stefan Jacobs, Geschäftsführer Cubic Transportations Systems Deutschland, den Aufbau eines einheitlichen Vertriebs- und Servicesystems im Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) angesichts einer Fläche von 14.000 Quadrakilometern, fünf Millionen Einwohnern und 160 Verkehrsunternehmen, die den ÖPNV im RMV-Gebiet gewährleisteten. Rechne man die Fläche ein, für die der Übergangstarif des RMV gelte, komme man auf 21.000 Quadratkilometer und rund sieben Millionen Einwohner. Die 160 Verkehrsunternehmen und diejenigen, die Fahrkarten verkauften, verteilten sich über 270 Vertriebsstellen mit unterschiedlichen Anforderungen an das System, mit dem man Fahrkarten verkaufe.  „Wie organisiere ich den einheitlichen Vertrieb und Service von elektronischen Fahrausweisen, ohne dabei die Anforderungen der einzelnen Teilnehmer aus den Augen zu verlieren“, fragte Jacobs.

„Das Hintergrundsystem für den RMV – eine große technische und kommunikatorische Aufgabe“

Es sei eine große technische und kommunikatorische Aufgabe gewesen, um alle Beteiligten mitzunehmen mit dem Ziel, einen Verbund mit einem Tarif möglichst auf einer Chipkarte mit einem Hintergrundsystem aufzubauen. Zudem habe das eTicket-System einen sehr großen Funktionsumfang gebraucht, den der RMV darüber hinaus auch wirtschaftlich betreiben können muss.

Vor ziemlich genau zwei Jahren sei das System produktiv geworden, sagte Jacobs, viele Chipkarten,  elektronische Fahrkarten und Abonnements seien unters Volk gebracht worden. Abokarten, Schülerkaten, 65plus-, Wochen- und Monatskarten werden laut Jacob folgen, „und möglicherweise bringen wir irgendwann alle Produkte auf Chipkarten“.

Prof. Dr. Martin Lanzendorf, Inhaber der Stiftungsprofessur für Mobilitätsforschung an der Goethe-Universität in Frankfurt, plädierte dafür, ökonomische Effizienz, ökologische Herausforderung und soziale Dimension von Mobilität stärker als bislang zusammen zu betrachten. „Wir müssen das beachten, wenn wir uns Gedanken machen, wo wir eigentlich hin wollen.“ Der Mobilitätsexperte sieht vor dem Hintergrund globaler Megatrends einen dynamischen Wandel in der Nutzung von Mobilitätsangeboten. Car Sharing und Fahrradverleihsysteme seien vielerorts aufgebaut worden, etwa in Barcelona, London, Mainz oder Frankfurt, wenngleich in Frankfurt nicht so viele Velos zur Verfügung stünden wie etwa in London. Große Car Sharing und Autohersteller seien in den Markt eingestiegen, die wachsende Zahl von Pedelecs verändere die Fahrradmobilität.

„Mobilität 2.0: Die Kunden machen selbst Angebote“

Eine Dimension der „Mobilität 2.0“ sei aber weitgehend vergessen worden: Die Angebote internetbasierter Mitfahrgelegenheiten, die inzwischen sehr erfolgreich seien. Der nächste Schritt sei die dynamische Mitfahrgelegenheit, wie sie beispielsweise von Flink angeboten werde. Wer unterwegs ist, kann sich mit dem Smartphone informieren, ob und wann eine Mitfahrgelegenheit in nächster Umgebung zur Verfügung steht.  Ob internetbasiertes Car Sharing, ob klassisch oder dynamisch, ob Car Sharing mit dem privaten Auto – Web 2.0- Nutzer stellten die Produkte selbst her, und das gilt für Prof Dr. Lanzendorf auch für Mobilitätsangebote, die von mobilen Menschen selbst offeriert würden.

Das führt langfristig zur Integration und multimodalen Lösungen mit ihren verkehrsmittelübergreifenden Angeboten. Damit träten aber auch neue Akteure auf den Plan, etwa Automobilanbieter, Energieversorger und Konzerne wie Google.

Auch Kai Probst, Connected Car bei T-Systems International GmbH, bezeichnete das Smartphone als  wichtigen Innovationstreiber für Reiseketten. Vor zehn Jahren seien Angebote über das Internet buchbar geworden, heute werde das Smartphone genutzt, etwa wenn statt eines auf Papier gedruckten Flugtickets ein QR-Code genutzt wird, um das Gate zum Abflug zu passieren. Wirtschaft und  Technik seien mehr denn je gefragt, wenn es um Vernetzung von Angeboten und den Service für Kunden gehe. Aber der vernetzte Kunde bezahle mit seinen Daten, wo er gerade ist. „Das muss uns bewusst sein“, sagte Probst.

„Was müssen wir heute politisch beschließen, damit wir 2030 noch ein funktioniendes Verkehrssystem haben?“

Für Volker Sparmann, Mobilitätsbeauftragter des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung, gilt unvermindert, was Hessens ehemaliger Minister Dieter Posch vor Jahren als Leitlinie für die Politik vorgegeben hat: „Was müssen wir heute politisch beschließen, damit wir 2030 noch ein funktionierendes Verkehrssystem haben?“

Die Voraussetzungen seien in Hessen gegeben, um Grundlagen für solche Entscheidungen zu schaffen. Sparmann nannte als Beispiele Hessen mobil, den RMV und den NVV, das Zentrum für Innovative Verkehrssystem (ZIV) und das House of Logistics and Mobility (HOLM), das als Plattform und  Mittler zwischen Wissenschaft und Wirtschaft fungiere.

Sparmann nannte zwei Faktoren, die über die Zukunft bestimmten: Das Bildungssystem und das Verkehrssystem einer Region. Damit würden die Arbeits- und Lebenssituation einer Wirtschaftsnation wie Deutschland geschaffen. „Was mich stört:  Dass wir in den Medien immer nur mit Negativeffekten dargestellt werden, wenn wir über Verkehr sprechen“, sagte Sparmann.

Mobilität sei ein Grundbedürfnis der Bevölkerung, das es zu sichern gelte, dabei gehe es auch um Kosteneffizienz und Klimaschutz. Was sei dafür besser geeignet als die Optimierung der Verkehrsbedürfnisse in der Next City, wie sie von Cubic modellhaft entworfen worden sei.

Integrierte Angebote in der NextCity

Themen für die Next City seien etwa die Nutzerfinanzierung,  eine neue Mobilitätskultur, ein Integriertes Serviceangebot entlang der gesamten Wegekette. Wegeketten können laut Sparmann nur dann funktionieren, wenn der Kunde die Möglichkeit habe, jede Reise neu zu überdenken und sich zu fragen, welches Verkehrsmittel oder welche Kombination von Verkehrsmitteln er nutzen kann. Das aber funktioniere nur, wenn alle Partner ihre Angaben und Daten in eine solches System eingeben würden.

Martin Howell, Director Public Affairs bei Cubic Transportation Systems Ltd, zeichnete in seinem Vortrag ein Bild der Mobilität in der heutigen und der künftigen Welt. Heute müsse der Bedarf vorhersagbar sein und gemanagt werden können, Verhaltensänderungen seien möglich, indem man Anreize setze, zudem sei die Integration der Verkehrsträger notwendig. In der Welt der Zukunft brauchten wir ein klares gesamtheitliches Bild des Transportnetzwerkes, mehr Informationen über die Reisenden und Reiseinformationen in Realzeit, ferner ein effektives Krisenmanagement und die Bequemlichkeit, die eine einzige Mobilitätsschnittstelle biete. Die technische Infrastruktur für diese Anforderungen liefere Cubic innerhalb seines Next City-Modells mit CTS, Nextbus und Nextagent.

Martin Russ, Geschäftsführer von Austria Tech, ist überzeugt, dass nutzerorientierte Services das Angebot der Zukunft seien. Ob das der eine große Dienst, der integrative Dienst sei oder eine Vielzahl von Diensten, das werde sich zeigen. Die entscheidende Frage sei, wie könne Mobilität dadurch gewährleistet werden in der Zukunft und wie könne Mobilität umweltfreundlicher und effizienter werden und bleiben?

Ein Beispiel für die Integration von Mobilitätsangeboten ist der Mobilotse: Das Portal gibt einen Überblick über die Angebote von rund 100 ausgewählten Moiblitätsservices und Forschungsapps in Österreich, sagte Russ.

Dr. Walter Hecke, Geschäftsführer der Trafficpass Holding GmbH in Österreich, erinnerte daran, dass Mautsysteme, die der Refinanzierung und nicht der Finanzierung eines hochrangigen Straßennetzes dienten, weltweit unumstritten seien. Allerdings gebe es eine Vielzahl unterschiedlicher Betreibermodelle, etwa die Autostrada in Italien, die 3000 Kilometer Autobahn manage.  Netzgesellschaften hätten den Vorteil, dass sie das Verkehrsrisiko, das meist der Staat tragen müsse, leichter verdauen könnten, wenn sie viel und wenig befahrene Strecken zu verwalten hätten. Wesentlicher Vorteil sei der Refinanzierungsmethode sei, dass Einnahmen zweckgebunden für Straßen ausgegeben werden müssten. „Es gibt keine Möglichkeit, das Geld anderswo hin fließen zu lassen wie bei einer Steuer“, sagte Dr. Hecke.

Autobahnkonzessionen für 20 bis 30 km lange Abschnitte? „Das ist ein völlig unwirtschaftliches Unterfangen“, sagt Dr. Hecke

Skeptisch äußerte sich der Maut-Experte über Projekte als Öffentlich Private Partnerschaften. Da gebe es merkwürdige Dinge, etwa die Regelung, dass Konzession für 30 oder 50 Kilometer Autobahn vergeben würden, weil mittelständische Strukturen gefördert werden sollten. „Das ist ein völlig unwirtschaftliches Unterfangen.“

Eine kilometer-basierte Pkw-Maut ist nach Einschätzung Dr. Heckes für jeden Politiker das Abschiedswort. „Es gibt kaum einen Politiker, der dieses Risiko eingeht, weil er weiß, dass er nicht mehr gewählt werden wird und in der eigenen Partei keinen Rückhalt mehr hat.“

Moderne Buchungs- und Bezahlmethoden, die immer intermodaler werden und über SmartPhones gemangt werden, können nach Einschätzung von Dr. Hecke fürs Parken, das Mieten von Car Sharing Autos, für Autobahngebühren oder die Verwendung von City Bikes genutzt werden. Ein Beispiel ist die Park.Me-App, die automatisch alle Tarife erkennt und bezahlt. Sorge bereiten Dr. Hecke die privaten Garagenbetreiber, die sich kaum an dr Diskussion beteiligten. „Da fehlt der Druck der öffentlichen Hand.“

Die Park.Me-Anwendung war während der zweitägigen Konferenz mit der RMV-App verbunden.

Quelle: HOLM

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