Nachtflugverbot: Logistikwirtschaft befürchtet schwere Verluste

Nach dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, ab dem 30. Oktober 2011 alle Nachtflüge in Frankfurt in der Zeit von 23:00 Uhr bis 05:00 Uhr vorläufig zu untersagen, werden die Stimmen aus der Logistikbranche immer lauter. Führende Branchenverbände und Unternehmen – zum Großteil Mitglieder der Initiative "Die Fracht braucht die Nacht" – äußerten sich besorgt über die Folgen des Nachtflugverbots für die Region Rhein-Main sowie den Logistikstandort Deutschland.

"Die Entscheidung des VGH Kassel hat die Fracht- und Logistikbranche völlig überraschend und schwer getroffen", so Ewald Heim, Geschäftsführer der Initiative "Die Fracht braucht die Nacht". Seit Monaten haben die Airlines den neuen Winterflugplan mit der reduzierten Zahl von 17 Nachtflügen ausgetüftelt. Jetzt müssten die Fluggesellschaften von heute auf morgen ganz ohne Nachtflüge auskommen. Dies sei ein buchstäblicher Schlag ins Gesicht, kommentiert Yvonne Boag, Geschäftsführerin der Nightexpress Luftverkehrsgesellschaft die Lage. Deutschland habe seinen wichtigsten Flughafen nachts komplett von der Weltwirtschaft abgekoppelt. "Frankfurt zieht man mit diesem schlimmen Urteil im Wettbewerbsrennen mit Amsterdam, Luxemburg oder Paris im Prinzip die Turnschuhe aus," meint Karl-Heinz Geier von Logistic people.

Die betroffenen Airlines arbeiten derzeit mit Hochdruck daran, die Nachtflüge bis zum Winterflugplan Ende Oktober auf den Tag oder andere Standorte zu verlagern. Dies ist jedoch nicht in jedem Einzelfall möglich. Wie für den Nischenanbieter Nightexpress, der seit fast 30 Jahren am Frankfurter Flughafen vorwiegend kurzfristige Cargo-Flüge in der Kernnacht durchführt. "Zuverlässigkeit und Flexibilität ist unser wichtigstes Verkaufsargument. Wenn wir künftig keine Sonderflüge mehr in der Nacht anbieten können, verlieren wir nicht nur Umsatz und Kunden, sondern auch unseren guten Ruf als Notfall-Logistiker", so Yvonne Boag.

Martin Gaebges, Geschäftsführer der BARIG (Board of Airline Representatives in Germany e.V.) erklärte, es ginge nicht nur um eine Verlagerung von Slots in andere Zeiten, sondern um eine tiefgreifende Umgestaltung der gesamten Logistikkette. Dass dies auch Auswirkungen auf andere Verkehrsträger hat, stellte Adolf Zobel, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BGL (Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung e.V.) dar: "Um das Straßennetz angesichts stetiger Verkehrszuwächse effizienter zu nutzen, arbeiten wir seit Jahren mit dem ‚Aktionsplan Güterverkehr und Logistik‘ an einer Entzerrung von Personen- und Güterverkehr auf Deutschlands Straßen. Das Nachtflugverbot in Frankfurt schränkt diese Entwicklung erheblich ein." Denn durch den Wegfall der Nachtflüge würden noch mehr Güter auf die Straße verlagert. Das Verbot stelle damit nicht nur Fluggesellschaften, sondern auch den LKW-Verkehr als Zubringer und Abholer, der sich ohnehin zahlreichen Fahrverboten und Beschränkungen auf Bundes- und Landesebene gegenübersieht, vor große Probleme, so Adolf Zobel.

Frankfurt und die Region Rhein-Main sind für viele Logistikunternehmen ein attraktiver Standort. Der Flughafen Frankfurt bietet durch die enge Verzahnung von Passagier- und Frachtflügen – rund die Hälfte der Fracht wird im Bauch der Passagierflugzeuge transportiert – eine ideale Anbindung an die größten Handelszentren der Welt. Allein in der Cargo City Süd haben sich in den letzten Jahren über 250 Unternehmen angesiedelt, hohe Investitionen getätigt und Tausende Arbeitsplätze geschaffen. Doch Ewald Heim warnt: "Internationale Logistik-Konzerne müssen ihren Europa-Hub nicht zwingend in Frankfurt haben, sondern können jederzeit nach Paris oder Amsterdam mit liberalen Nachtflugregelungen ausweichen." Dadurch wären viele Arbeitsplätze in Gefahr. "Durch die wegfallenden Nachtschichten gehen vor allen Dingen im niedrig qualifizierten Bereich zahlreiche Arbeitsplätze verloren", ergänzt Elke Wasser, Geschäftsführerin der Logistik Training Center GmbH in Frankfurt.

Dem berechtigten Interesse der Anwohner auf Ruhe werde mit der Reduzierung der Nachtflüge von 50 auf die notwendigen 17 Flugbewegungen Rechnung getragen. Es sei in den Verhandlungen immer darum gegangen, einen "goldenen Schnitt" zu machen zwischen den Bedürfnissen der Anwohner und den Interessen der Industrie. Von einer Ausgewogenheit der Interessen aller Beteiligten könne nach dem Kahlschlag des VGH nicht mehr gesprochen werden, meinte Thorsten Hölser, Geschäftsführer des SLV (Speditions- und Logistikverband Hessen Rheinland-Pfalz). "Es bleibt zu hoffen, dass dieses in seiner Kurzfristigkeit nicht nachvollziehbare Urteil nicht auch langfristig Schaden für den bedeutendsten Luftfrachtstandort Europas mit sich bringen wird."

Die Planfeststellung der hessischen Landesregierung sei eine sorgfältige Abwägung der Interessen aller Beteiligten – von Anwohnern wie von Unternehmen. Wenn so eine sorgsame Entscheidung der Landesregierung in einem dringend benötigten Infrastrukturausbau nur wenige Tage vor der Inbetriebnahme von einem Gericht ausgesetzt würde, dann zeige das auch einen ganz deutlichen Handlungsbedarf für den Gesetzgeber, sagt Michael Engel, Geschäftsführer des BDF (Bundesverband der deutschen Fluggesellschaften e.V.). 

Quelle: MyLogistics
Portal: www.logistik-express.com

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