|

Wie sieht unsere Zukunft aus?

Die DHL veröffentlichte eine Zukunftsstudie mit fünf Szenarien, wie die Logistik im Jahr 2050 aussehen könnte. Und wir fragten einen Experten, was er davon hält.  Redaktion: Angelika Thaler

Die von der Deutsche Post DHL in Auftrag gegebene Szenariostudie „Delivering Tomorrow: Logistik 2050“ zeichnet fünf durchaus unterschiedliche Zukunftsbilder und ihre Folgen für Handel und Wirtschaft auf, die auf Einschätzungen und Prognosen von 42 Experten verschiedener Fachrichtungen basiert. Berücksichtigt wurden dabei Einflussfaktoren wie Handels- und Komsummuster, Technologie, der Klimawandel und Vieles mehr. Das Ergebnis sind besagte fünf Modelle, die alle äußerst unterschiedliche Herausforderungen für die Logistikdienstleister bergen. Logistik express unterhielt sich darüber mit Univ. Prof. Dr. Sebastian Kummer, Vorstand des Institutes für Transportwirtschaft und Logistik, WU Wien, sowie Direktor der europäischen Sektion des MIT Forum Supply Chain Innovation. 

 

Szenario 1: Zügelloses Wachstum – drohender Kollaps: Geprägt vom allgegenwärtigen Massenkonsum werden natürliche Ressourcen weltweit ungehemmt ausgebeutet, was den Klimawandel anheizt. Starkes Wachstum steigert die Nachfrage nach Logistik- und Transportleistungen, dank globalem Netz ist rascher Güteraustausch möglich, allerdings unter erschwerten Bedingungen (Naturkatastrophen). Kummer: „Das ist ein neoliberales Antiszenario, einfach eine Fortschreibung der letzten Jahre.“

 

Szenario 2: Megaeffizienz in Megastädten: Megacities als zentrale Kraftzentren sind Haupttreiber des Paradigmenwechsels hin zu grünem Wachstum. Kooperationen und Robotertechnik sind die Lösung der Verkehrsprobleme, Produkte werden gemietet statt gekauft und Mega-Transportmittel sowie Raumtransporter verbinden diese Megastädte. Die Logistik übernimmt die Steuerung. 

 

Szenario 3: Individualisierte Lebensstile: Individualisierung und personalisierter Konsum prägen den Alltag, wobei Konsumenten ihre Produkte selbst erfinden und mittels 3D-Druckern auch selbst herstellen. Lediglich die Rohstoffe und Daten werden noch transportiert, Energie- und Infrastruktursysteme funktionieren dezentral. Logistikdienstleister organisieren physische Wertschöpfungsketten und Datenströme. Wichtig sind regionale Logistikressourcen. Kummer: „Das ist kein Zukunftsszenario. Diese Drucker gibt es heute schon, etwa in Architekturbüros, aber nur für Formen – nicht für Funktionen. Daher wird das nie ein nennenswerter Hebel für die Logistik- und Transportbranche sein.“

 

Szenario 4: Lähmender Protektionismus: Die Globalisierung wurde umgekehrt, die technologische Entwicklung stagniert, hohe Energiepreise und Ressourcenverknappung sorgen für Konflikte. Regionalisierte Lieferketten sind die Herausforderung für die Logistiker, für die Regierungen ist die Branche ein strategischer Wirtschaftszweig. Kummer: „Das ist ein weiteres Antiszenario, aber sicher keine Offenbarung.“

 

Szenario 5: Globale Widerstandsfähigkeit – lokale Anpassung: Die automatisierte Produktion hat den Konsum zunächst angekurbelt. Gehäufte Naturkatastrophen aufgrund des Klimawandels stören jedoch die straffen Produktionsstrukturen und bedingen Lieferengpässe. Hauptherausforderung: Stabilisierung der Strukturen im Zeichen von redundanten Produktionssystemen und regionalisierten Lieferketten. Logistikanbieter gewährleisten die Versorgungssicherheit auch dank starker Reserveinfrastruktur. Statt Just-in- time-Lieferprozessen herrschen riesige Lager nahe der Produktionsstätten als Puffer vor. Kummer: „Hier haben wir ein Positivszenario, alle arbeiten zusammen. Fragt man Forscher anderer Sparten mit Logistik-Halbwissen nach ihrer Prognose, erhält man als Antwort: die Abkehr von JIT. Dabei ist das auch heute nur eine von vielen Varianten.“ 

 

Kummers Fazit: Die Zukunft, sagte Karl Kraus, ist auch nicht mehr das, was sie einmal war – und er sollte damit leider allzu Recht behalten. Diese DHL-Studie zitiert zu Beginn Oscar Wilde: „To expect the unexpected shows a thoroughly modern intellect.” Wenn man allerdings beim Durchlesen etwas Unerwartetes erwartet, wird man eher enttäuscht sein. Wahrscheinlich ist sich DHL selber nicht sicher, ob man mit modernem Intellekt bei Logistikern punkten kann. Jedenfalls hat man mit viel Geld viele Namen eingekauft und viele Trends im Bereich Logistik/Supply Chain Management zusammengetragen. Allerdings lesen sich die Szenarien wie eine Ansammlung von dem, was in der Logistik allgemein diskutiert wird. Von CO2, über Megacities bis zur Sicherheit ist alles dabei. Aber Achtung, neben Plattitüden wie z.B. „Das robuste Wachstum der Weltwirtschaft und des Welthandels führt zu einem massiven Anstieg der Nachfrage nach Logistik und Transportleistungen …“, finden sich auch offensichtlich falsche Einschätzungen. So formulieren die Autoren „Auf dem Meeresboden wird nach seltenen Erden gegraben“, wobei jeder, der sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigt, weiß, dass die Herausforderung der „seltenen Erden“ nicht ist, dass diese selten auf der Erde vorkommen – sie gibt es relativ häufig – sondern dass die notwendigen, sehr anspruchsvollen Supply Chains und die industrielle Basis zur Verarbeitung dafür in nahezu allen Ländern außer China fehlen. Als Anregungen sind in jedem Szenario Implikationen für die Logistikindustrie enthalten, „unexpected“ sind diese jedoch für den informierten Leser kaum. Beim Lesen stört ein wenig, dass es nicht gelingt, neue Perspektiven aufzuzeigen, geschweige denn ein ganzheitliches Bild zu schaffen. Aber auch das hat was Positives, als moderne Intellektuelle können wir auch nach Studium der Studie davon ausgehen, dass wir bezüglich der Zukunft mit etwas Unerwartetem rechnen müssen, denn die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich so entwickeln wird, wie beschrieben, ist wohl eher gering. 

 

Und Szenario 6? Kummer: „Ich sehe die Zukunft positiv. Wir schaffen es, in den nächsten 30 Jahren eine funktionierende global governance aufzubauen, die Macht wird gleichmäßig global verteilt sein. Im Bereich der Logistik wird es eine Differenzierung geben, alternative Antriebe in den Städten für die Feinverteilung, z.B. auch über Röhren- oder Tunnelsysteme. Im Fernverkehr wird Wasserstofftechnologie Dieselmotoren ablösen. Die Bahn wird bis zu 30 Prozent Marktanteil am Güterverkehr haben, mehr Kapazitäten gibt es nicht. In Österreich hoffe ich auf bessere Verbindungen mit dem Umfeld, eine Breitspur nach Russland und den Ausbau der Mittelmeerhäfen.“  (AT)

Quelle:  Logistik express Zeitschrift, Ausgabe 1/2012 (ePaper)  

 

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar