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Brasilien: F-WM 2014 – doch nicht alles läuft rund

Die mangelnde Infrastruktur bremst zunehmend die Wirtschaft aus, die ohnehin schon durch hohe bürokratische Hürden gelähmt wird. Die Regierung reagiert darauf mit einem Infrastruktur- und Privatisierungsprogramm in Höhe von rund 90 Milliarden Euro.

Die Fußball-WM steht im Juni/Juli 2014 in Brasilien vor der Tür und nicht nur am Stadienbau mangelt es laut FIFA-Boss Sepp Blatter, sondern die gesamte Infrastruktur des Landes ist laut Aussage von Logistikexperten seit langem marode. Dies scheint symptomatisch für das rohstoffreiche „Land am Zuckerhut“ zu sein, das mit einer monströsen Bürokratie, Korruption, hohen Inflation und einer kränkelnden Wirtschaft zu kämpfen hat. Nach den Boom Jahren mit einem BIP-Wachstum von 7,5 Prozent 2010 wurden 2012 laut Weltbank nur 0,9 und 2013 2,2 Prozent erreicht. Die starke Überbewertung der brasilianischen Währung Real führte zu einer gigantischen Importzunahme 2010 von 42,2 Prozent. Für 2014 werden 2,4 Prozent Wachstum prognostiziert.

Wegen der massiven Ausgaben für die WM, der Olympischen Spiele 2016 sowie hoher Steuern und Inflation kam es bereits zu gewalttätigen Ausschreitungen der Bevölkerung und der Polizei – vor allem in Rio. „Brasilien wird wirtschaftlich überschätzt. Der Aufschwung ist ins Stocken gekommen und die Regierung hat versucht, über diverse Preis- und Steuersenkungen den Binnenmarkt anzukurbeln, damit das Wirtschaftswachstum erhalten bleibt. Dies hat aber nur bedingt funktioniert. Hinzu kommen unglaublich schwierige bürokratische Hürden und administrative Prozesse, die die Wirtschaft lähmen“, sagt Felix Dane, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rio de Janeiro. Er fügt an: „Die Infrastruktur wird den Anforderungen bei weitem nicht gerecht – in allen Bereichen: Häfen, Flughäfen, Straßen, Schienen usw., aber auch im Bereich Energie. Dementsprechend verteuert sich der Transport und die brasilianische Wirtschaft ist in vielen Bereichen nicht mehr konkurrenzfähig. Sie überlebt oftmals nur wegen protektionistischer Maßnahmen. Gerade der Ausbau von Infrastruktur bietet deutschen Firmen natürlich große Chancen. Dennoch sollte man vorsichtig sein. Brasilien ist kein Land für Anfänger.“

Für Deutschland ist Brasilien der wichtigste Handelspartner in Lateinamerika. Laut Statistischem Bundesamt betrugen die deutschen Ausfuhren nach Brasilien 2012 11,7 Milliarden Euro und die Einfuhren 10,6 Milliarden Euro. Die EU ist mit Abstand der wichtigste Handelspartner Brasiliens.

„Nach unseren Schätzungen machen deutsche Firmen einen Anteil von 10 Prozent des industriellen Bruttoinlandsprodukts Brasiliens aus. Pro Jahr siedeln sich rund 50 neue deutsche Firmen in Brasilien an. Insgesamt sind es rund 1.400 Unternehmen, mit Schwerpunkten in den klassischen Branchen Kfz, Chemie und Maschinenbau. Leider bremst die schlechte Infrastruktur das Wachstum der Wirtschaft des größten Landes in Südamerika aus. Auf der anderen Seite werden sich dadurch in den kommenden Jahren viele Geschäftschancen ergeben“, sagt der Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Brasilianischen Industrie- und Handelskammer in São Paulo, Thomas Timm.

Infrastruktur:
Seit 30 Jahren nichts investiert
Die Logistikkosten liegen in Brasilien gemäß “dhl Logbook” aufgrund von regionalen Unterschieden in der Infrastruktur, einem unterentwickelten Schienennetzwerk, hohen Hafengebühren und Schwierigkeiten in der Entwicklung der Amazonas-Region sehr hoch.
Der TTCI (Travel and Tourism Competitiveness Index (TTCI) 2011 des Schweizer World Economic Forums stellt die Hauptschwächen Brasiliens heraus: Die Bodeninfrastruktur ist nach wie vor unterentwickelt (Platz 116 von 139). Die Straßeninfrastruktur ist dabei das schwächste Glied und wurde nur mit Platz 105 bewertet. Mit Platz 42 fiel die Bewertung für die Infrastruktur für den Lufttransport wesentlich besser aus. Der Logistik-Performanz-Index der Weltbank für Brasilien lag 2012 bei 3,07 mit einer leichten Abwärtstendenz seit 2010. Zum Vergleich liegen Deutschland bei 4,26 und die USA bei 4,14 (höchste Wert ist 5 = sehr gut).

Laut einer Studie des brasilianischen Verbands für Bau- und Minentechnologie Sobratema sollen in die Transportinfrastruktur bis 2017 335,9 Milliarden brasilianische Real (104 Milliarden Euro) fließen. Im März 2010 wurde die zweite Phase des Growth Acceleration Program (PAC 2) ins Leben gerufen. In dessen Rahmen werden zwischen 2011 und 2014 387 Milliarden Euro in Infrastrukturprojekte investiert  – darunter 42 Milliarden Euro in das Transportsystem. Für die folgende Periode nach 2014 sollen geschätzte 255 Milliarden Euro bereitgestellt werden. „Brasilien hat 30 Jahre fast nichts in seine Transportinfrastruktur investiert, weshalb wir nun privates Kapital anziehen wollen, um so in den nächsten Jahren die Logistikkosten spürbar zu senken“, sagt Bernardo Figueiredo, Leiter der neuen Koordinierungsstelle für Planung und Logistik (EPL). Im Vergleich zu China mit 5 Prozent investiert Brasilien bisher gerade einmal 0,5 Prozent seines BIP in die Infrastruktur. Paulo Resende, Professor und Direktor des CCR Infrastructure and Logistics Center, schätzt, dass die schlechte Infrastruktur einen durchschnittlichen wirtschaftlichen Schaden von 12 Prozent des BIP in Brasilien verursacht. In den USA sind es nur 8 und in Europa 6 Prozent.

Am 15. August 2012 hat die brasilianische Bundesregierung das Logistik Investment Program (PIL) gestartet. Das Programm umfasst eine Reihe von Projekten, die zur Entwicklung eines modernen und effizienten Verkehrssystems beitragen und wird durch strategische Partnerschaften unter Berücksichtigung von Synergien zwischen Straße und Schiene, Wasserstraßen, Häfen und Flughäfen mit dem privaten Sektor durchgeführt werden.

Häfen:
Privatisierung und Neubau
Laut der National Agency for Water Transportation (ANTAQ) ist das Frachtvolumen in den Häfen von 570,8 Millionen Tonnen 2003 auf 902,9 Millionen Tonnen 2013 angestiegen, was zunehmend den Bau neuer Häfen erfordert. Nach Verabschiedung der neuen Regelungen des Hafengesetzes  („Lei dos Portos“) am 5. Juni 2013  verkündete die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff den Bau von 50 neuen Häfen in der Föderativen Republik. 27 Hafenterminals werden im Norden, drei im Nordosten, weitere drei im zentralen Westen, zwölf im Südosten und fünf im Süden entstehen.

Zuvor im Dezember 2012 gab sie ein Teilprogramm im Rahmen des PIL im Wert von rund 20 Milliarden Euro zur Modernisierung der Häfen durch Privatinvestitionen und die Vergabe von Konzessionen über 25 Jahre für den Hafenbetrieb bekannt (die Ausschreibungsblöcke des Hafeninvestmentprogramms können in der beiliegenden Grafik des Special Secretariat of Ports eingesehen werden). Durch den Lei dos Portos sollen die Effizienz der Häfen gesteigert und Kosten reduziert werden. Zudem wird die Privatisierung der Häfen vorangetrieben. Der Tender für die Häfen wurde bereits im August ausgeschrieben. Sobald eine Baugenehmigung erteilt ist, muss der Konzessionär den Betrieb des jeweiligen Hafens innerhalb von drei Jahren aufnehmen. Zu den neuen Terminals gehört ein Tiefwasserterminal für die Verschiffung von Mineralien in Linhares im Bundesstaat Espirito Santo, ein Terminal in Rio de Janeiro, eines in Cubatão und ein weiteres im Norden des Landes. Im Südosten des Landes – insbesondere in Rio de Janeiro und São Paulo – arbeiten die Häfen an der Kapazitätsgrenze. Sechs der größten Häfen des WM-Gastgeberlandes – darunter Santos, der nach Warenwert größte Hafen Lateinamerikas – stehen zur Modernisierung an. Zudem will die Regierung einen neuen Hafen in der Amazonasstadt Manaus bauen.

Das Unternehmen Prumo des Industriemagnaten Eike Batista (laut Forbes 2012 siebtreichster Mensch der Welt) baut den Superhafen Açu. In einem CNN-Interview Ende 2010 sagte Batista: „Brasilien hat versäumt, in Infrastruktur zu investieren. Meine Unternehmen haben sich auf Logistik und Infrastrukturbau, insbesondere Hafenbau, spezialisiert. Die größte Chance des Landes liegt in der Offshore-Exploration mit einem Projektwert im Trillionen-US-Dollar-Bereich.“ Der bereits seit 2007 im Bau befindliche Superhafen Açu 400 km nördlich von Rio in São João da Barra soll 30 Liegeplätze besitzen und Stahl, Kohle, Petroleum, Granit, Eisenerz, flüssiges Schüttgut und allgemeine Fracht handeln. Ein gigantischer Pier ragt 2,9 km ins Meer. Die gesamte Kai Länge der Terminals T1 (Offshore) und T2 (Onshore) umfasst 17 km. Die Unternehmen NOV, Technip und Intermoor starten ihren Betrieb am T2 in der ersten Hälfte 2014. Die ersten Eisenerzverschiffungen von T1 werden in der zweiten Hälfte 2014 erwartet.

Das Projekt umfasst einen 90 km² großen Industriepark. Zwei Stahlmühlen, darunter eine Stahlmühle des italienisch-argentinischen Stahlunternehmens Techint, sind im Bau. Der Industriepark wird u. a. Zementfabriken, Ölverarbeitungsanlagen (Shell), Pelettierungsanlagen für Eisenerz und Automobilhersteller beherbergen. Die Nähe zu den Offshore-Ölquellen im Campos Pre Salt Basin soll deren Exploration erleichtern. LLX investiert in das gigantische Projekt rund 1,9 Milliarden Euro und will weitere 28 Milliarden Euro an Investitionen anlocken.
Der Superhafen Sudeste in der Region Serra Azul ist seit Juli 2010 im Bau und insbesondere für den Eisenerzexport durch das Batista-Unternehmen MMX nach China vorgesehen. Die chinesische Firmengruppe Wuhan Iron and Steel Corporation (Wisco) erwarb 21,52 Prozent an MMX. Der Hafen wird eine Wassertiefe von 20 m und zwei Offshore-Liegeplätze besitzen, wenn er 2014 in Betrieb geht. Die erste Phase hat eine Kapazität von 50 Millionen Tonnen Eisenerz. Eine zweite Phase wird die Kapazität auf 100 Millionen Tonnen steigern. Das Investment liegt bei 1,8 Milliarden Brasilianischen Real (rund 700 Millionen Euro).

Flughäfen:
FIFA World Cup erfordert Ausbau
Der staatliche Flughafenbetreiber Infraero wird insbesondere für den FIFA World Cup 4,8 Milliarden Euro in die Modernisierung und Erweiterung der Flughäfen von zwölf FIFA-Gastgeberstädten investieren. Der Passagierverkehr wird laut einer Prognose der amerikanischen Consultingfirma PricewaterhouseCoopers LLP an den zwanzig größten Flughäfen Brasiliens von 111 Millionen 2009 auf 312 Millionen 2030 steigen. Es wurden drei bedeutende Flughafenbauprojekte ins Leben gerufen: São Paulo Guarulhos International Airport, Eduardo Gomes International Airport und Congonhas (São Paulo) International Airport. 2011 wurde der Bau eines neuen Passagierterminals (TPS3) im Wert von 511 Millionen Euro im Flughafen Guarulhos initiiert. Die Fertigstellung wird 2014 erwartet. Infraero, Betreiber des nördlich Manaus liegenden Flughafens Eduardo Gomes, hat im August 2009 einen Entwicklungsplan im Wert von rund 230 Millionen Euro verabschiedet. Weitere bedeutende im Ausbau befindliche internationale Flughäfen sind Viracopos und Brasilia.Die Regierung investiert im Rahmen des PIL 3,4 Milliarden in der ersten Phase in die Flughäfen Galeão (in Rio) und Confins.Die Konzessionsvergabe für die Privatisierung steht noch aus. Zudem werden 2.6 Milliarden in 270 regionale Flughäfen fließen. Zwei weitere Phasen des Investitionsprogramms schließen sich danach an.

Straßennetzwerk:
Staus und hohes Frachtaufkommen
Die föderative Republik ist der viertgrößte Kfz-Markt der Welt. Die Anzahl der neuen Kfz (2013 3,8 Millionen) ist laut Brazilian Association of Automotive Vehicle Manufacturers (ANFAVEA) von 2002 bis 2012 um 153,5 Prozent gewachsen. Laut DHL ist das Straßennetzwerk laut dem deutschen Integrator sehr bedeutsam, da es 60 Prozent des gesamten Frachtvolumens aufnehmen muss. Bei der Straßeninfrastruktur sieht das PIL Konzessionen für 7.000 km Mautstraßen vor. Die geschätzten Investitionen liegen bei 17 Milliarden Euro. Das Autobahn-Konzessions-Programm hat drei Hauptrichtlinien: Die Bereitstellung eines breiten, modernen und integrierten Straßennetzes, effiziente und wettbewerbsfähige Lieferketten und niedrige Mautsätze.

Schiene:
Bisher kaum existent
Brasilien besitzt bisher nur ein schlecht ausgebautes Schienennetzwerk. Im Eisenbahnsektor sieht das PIL Investitionen in Höhe von 36,5 Milliarden Euro in Bau und/oder Ausbau von mehr als 11.000 km Eisenbahnlinien vor. Das Eisenbahnprogramm hat drei Hauptrichtlinien: Die Bereitstellung eines breiten, modernen und integrierten Schienennetzes, effiziente und wettbewerbsfähige Lieferketten und niedrigere Tarife. Das Prestigeprojekt des Hochgeschwindigkeitszugs zwischen Campinas, São Paulo und Rio de Janeiro wird wohl nicht bis zu den Olympischen Spielen 2016 fertig werden und steht eventuell vor der Einstellung.

Quelle: Logistik express Fachmagazin 1/2014

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