Industrie 4.0 – Megatrend mit Schattenseiten

Der Begriff Industrie 4.0 ist in aller Munde – auch in der Logistikwelt. Doch ein Blick hinter die Kulissen hochvernetzter Industriestrukturen offenbart: Es gibt nicht nur Licht-, sondern auch Schattenseiten.

In Zeiten, in denen zunehmende Handelshemmnisse, steigende Lohnkosten in Fernost und auch die überlangen Transportwege auf die Margen europäischer Markenartikelhersteller drücken, bleibt so manchem Unternehmen nur noch der radikale Weg von vorne: Die Fertigung teilweise wieder aus fernöstlichen Gefilden abzuziehen – jedoch unter der strikten Maßgabe, die Produktionsprozesse deutlich zu verschlanken, um hierzulande möglichst am unteren Kostenlimit zu agieren. Auch der Sportartikelhersteller adidas hat dies als den richtigen Weg erkannt und sich unlängst dazu entschlossen, eine zukunftsfähige Lösung für die Produktion von morgen zu schaffen: „Wir werden näher an die Kunden heranrücken und die Ware dort fertigen, wo die Käufer sind“, sagte Senior der adidas Senior Innovation Director Gerd Manz unlängst im Interview gegenüber dem „Handelsblatt“. Ziel sei es, „flexibel, lokal und auf kleinstem Raum zu produzieren“, fügte der Forschungschef hinzu. Langfristig gehe es darum, „viel unabhängiger von den Arbeitskosten zu fertigen.“

Unter dem Namen „Speedfactory“ hat der Sportartikelhersteller aus dem bayerischen Herzogenaurach im Herbst letzten Jahres ein Projektteam zusammengestellt, das die Voraussetzungen dafür schaffen soll. Unter den Projektmitarbeitern befinden sich nicht nur Spezialisten aus dem eigenen Haus. Auch Vertreter des Autozulieferers Johnson Controls, des Roboterbauers KSL Keilmann sowie die Technische Universität München und die Hochschule Aachen beteiligen sich an dem groß angelegten Forschungsvorhaben, bei dem es einerseits darum geht, neue Materialien und Produkteigenschaften voranzutreiben – andererseits aber auch neue Produktionstechniken und Methoden zu initiieren, die es dem Unternehmen ermöglichen, besser auf die Konsumenten und ihre individuellen Bedürfnisse eingehen.

Die Zukunft liegt in der
Selbststeuerung
Das Beispiel von adidas zeigt: Die im Jahre 2011 erstmals ausgerufene, neue Ära der vierten industriellen Revolution ist in den Köpfen der Industriemanager angekommen. Es ist längst nicht mehr nur ein Gedankenkonstrukt einer Art Science-Fiction-Welt, in der es möglich ist, Maßnahmen zur Verschlankung von Wertschöpfungsketten schnell einmal herzubeamen – wegen der technischen und finanziellen Hürden bei der Umsetzung jedoch genauso schnell wieder fallen zu lassen. Der enorme Preisverfall, der in den vergangenen Jahren etwa bei Sensoren, Kameratechniken oder auch Sprachtechnologien eingesetzt hat, zeigt: Es ist heutzutage ein Leichtes, Pack- und Werkstücke, Maschinen, Anlagen, Fabriken sowie die Menschen miteinander zu vernetzen, diese untereinander interagieren und miteinander kommunizieren zu lassen. Neben modernen Automatisierungstechniken drängen deshalb in verstärktem Maße auch cyberphysische Systeme und Web-Technologien in unsere heutige smarte Fertigungswelt.

Doch wohin führt der Trend? Die Grundidee cyberphysischer Systeme besteht darin, Maschinen, Fördersystemen und Produkten die eigenständige Datenerfassung, -speicherung und -verarbeitung über digitale Netze zu ermöglichen. Mit Chips und somit mit einem digitalen Gedächtnis ausgestattet, besteht für Menschen, Maschinen, Fördersysteme und Produkte somit die Möglichkeit, sich über das Internet austauschen. In der Fabrik der Zukunft kann sich jede Einheit selbst steuern und den Weg zu hocheffizienten Prozessen aktiv mitbeeinflussen. Das klingt revolutionär? Ist es auch. Wäre da nicht die Krux mit der Datensicherheit. Die Enthüllungen des Ex-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden haben in den vergangenen Monaten deutlich gezeigt: Wo Daten ausgetauscht werden, können sie theoretisch auch abgegriffen werden. IT-Unternehmen arbeiten zurzeit zwar mit Hochdruck an Sicherheitssystemen, die  Datenspionage und die Gefahr von äußeren Manipulationen abwenden. Aber man darf nicht vergessen, dass solche Sicherheitssysteme beileibe nicht umsonst zu haben sind, und insbesondere mittelständische Unternehmen ein Problem damit haben, Abermillionen Euro nur für die Sicherheit der Daten zu berappen. Wird das Zeitalter der Industrie 4.0 deshalb am Ende nur in der Welt der Industriekonzerne stattfinden? Wohl kaum. Denn eine perfekt vernetzte Fertigung erfordert auch eine perfekte Vernetzung mit Logistikdienstleistern, Händlern und Lieferanten.

Von der Illusion, unter dem Stichwort „Industrie 4.0“ schon heute einen unbestreitbaren Lösungsansatz für die industrielle Fertigung der kommenden Jahrzehnte gefunden zu haben, sollten wir uns auf jeden Fall schon heute verabschieden. Denn selbst wenn alle technischen und sicherheitsrelevanten Hürden bei der Umsetzung der smarten Fertigungsprozesse einmal übersprungen sein werden: Es werden sich neue Schwierigkeiten auftun. Beispielsweise durch die gestiegene Verkehrsbelastung, die schon heute als Nebeneffekt dezentraler und kleinteiligerer Fertigungsstrukturen unaufhaltsam  auf uns zu rollt.

Quelle: Logistik express Fachmagazin 1/2014

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