Sicherer und effizienter mit Elektrofahrzeugen

Unter dem ungewöhnlichen Kürzel E-VECTOORC verbirgt sich ein umfassendes EU-Forschungsprojekt, das Elektrofahrzeuge sicherer und effizienter werden lässt und nebenbei auch noch den Fahrspaß steigert. Das Grazer Forschungszentrum VIRTUAL VEHICLE bringt in diesem Projekt vor allem seine weitreichende Expertise
im Bereich der verknüpften Simulation ein. Autor: Christian Santner

Das europäische Projekt-Konsortium besteht aus renommierten
Fahrzeugherstellern und Universitäten. Ziel der Forschung ist vor allem auch, die frühe Entwicklungsphase neuer Fahrzeugmodelle effizienter und schneller bewältigen zu können, um Kosten und wertvolle Zeit zu sparen. Im Projekt werden nicht nur Straßenanwendungen verbessert, sondern auch Offroad-Fahrzeuge. Graz als Wiege der Allradtechnologie ist dafür sicher ein gut gewählter Standort.

Ziele des Projekts mit einem Gesamtbudget von 4,8 Mio. Euro sind die Betrachtung der individuellen Momentenregelung von im Fahrzeug verbauten Elektromotoren: „Früher dauerte es bis zu zwei Jahre, die Software-Parameter von E-Motoren, welche das Fahrverhalten des jeweiligen Fahrzeugtyps bestimmen, einzustellen, zu validieren und verifizieren. Durch Softwarelösungen kann man eine automatische Abstimmung dieser Parameter erreichen. Eine frühzeitige hocheffiziente Entwicklung ist dadurch möglich. Im weiteren Verlauf ist die Reduktion des Energieverbrauchs, die Verkürzung des Bremsweges sowie eine bessere Beschleunigung der E-Fahrzeuge Ziel der Entwicklung.“, erklärt Projektleiter Dr. Josef Zehetner, der das Projekt E-VECTOORC (Electric-VEhicle Control of individual wheel Torque for On- and Off-Road Conditions) am VIRTUAL VEHICLE leitet.

Im Projekt werden grundlegend die Prozesse und Simulationen in einem frühen Stadium der Fahrzeugentwicklung für diesen sehr speziellen Bereich optimiert. Denn elektrifiziert angetriebene Fahrzeuge bringen einerseits beispielsweise für die Fahrdynamik zahlreiche Vorteile wie ein rasch verfügbares und relativ gleichbleibendes hohes Drehmoment mit sich. Andererseits besitzen Fahrzeuge mit elektrifizierten Antrieben aber auch Eigenheiten, die in der Entwicklung möglichst früh berücksichtigt werden müssen.

Reduktion von Energieverbrauch und Bremsweg
Zentrale Themen des Forschungsprojektes sind die Reduktion von Energieverbrauch und Bremsweg bei gleichzeitig verbessertem Beschleunigungsverhalten von Elektrofahrzeugen. Die Entwicklungsansätze, die hierbei verfolgt werden, zielen auf eine gezielte Beeinflussung der Fahrzeuglängs- und -querdynamik in allen Fahrsituationen ab. Die radindividuelle Momentenvorgabe durch vier im Fahrzeug verbaute, unabhängige Elektromotoren beeinflusst das Steuerverhalten mittels Längs- und Quer-Torque-Vectoring. Eine neuartige, hochfrequente Modulation der Radmomente verbessert das Verhalten des Antiblockiersystems und der Traktionskontrolle. Die Kombination dieser Technologien im Verbund mit einem neuartigen Energiemanagement ermöglicht auch ein deutlich verbessertes Rekuperationsverhalten (Energierückgewinnung beim Bremsen).

Fahrdynamikregler für unterschiedliche Antriebsstrang-Topologien
Ein wesentliches Ziel der Entwicklung ist, die Einsetzbarkeit des auf “Torque-Vectoring” basierenden Fahrdynamikreglers über unterschiedliche Antriebsstrangkonfigurationen hinweg zu gewährleisten. Der Fahrdynamikregler sollte derzeit schon verfügbare Varianten mit speziellen Differenzialgetrieben abdecken und auch künftige Varianten – wie beispielsweise radindividuelle Antriebe – ebenso beherrschen. Aus diesem Grund wird die Komponente in einer Simulationsumgebung an unterschiedlichen Fahrzeugmodellen validiert. Dazu gehören Front-, Heck- und Allradgetriebene Serienfahrzeuge unterschiedlicher Fahrzeugklassen, vom Kleinstwagen bis hin zum SUV mit den entsprechend skalierten Antriebsarchitekturen.

Verbesserung des Fahrverhaltens durch Vorgabe einer Referenz-Einlenkcharakteristik
Das Torque-Vectoring bei E-Fahrzeugen verteilt gezielt individuell die unterschiedlichen Antriebsmomente auf die einzelnen Räder. Dies eröffnet vielfältige Verbesserungsmöglichkeiten für das Fahrverhalten, den Fahrspaß und die Sicherheit. Das Fahrzeug wird gezielt “eingelenkt”, stabilisiert und auf Spur gehalten. Am VIRTUAL VEHICLE stellt man sich in Bezug auf das E-Fahrzeug in der Entwicklung also die Frage, wie man das Fahrempfinden für den Lenker gestalten kann, um das gewohnte und gelernte Lenkverhalten eines marktüblichen Fahrzeuges zu erzielen und noch weiter zu verbessern. Denn die Vorteile des Elektro-Antriebes gilt es zu nutzen: “Er weist beim Beschleunigen eine um den Faktor zehn und beim Bremsen eine dreimal schnellere Reaktionszeit im Vergleich zu konventionellen Systemen auf’”, so Senior Researcher Bernhard Knauder vom VIRTUAL VEHICLE. Diese Vorteile und Eigenheiten müssen jedoch früh in der Entwicklung aussagekräftig simuliert und für das jeweilige Fahrzeug optimiert werden.

Die Paarung eines passenden Antriebsstrangs mit dem im E-VECTOORC Projekt neu entwickelten Fahrdynamikreglers ermöglicht es, das Einlenkverhalten des Fahrzeugs individuell zu adaptieren. Dies erfolgt mittels individueller Momenten-Vorgabe an die einzelnen Räder. So können bei gleichem Lenkwinkel ungleich höhere Querbeschleunigungswerte erreicht werden als in einem Fahrzeug mit konventionellem Antrieb. Darüber hinaus werden durch Einsatz dieser Technik auch höhere Grenzwerte für die Querbeschleunigung erreicht, was das Fahrverhalten deutlich verbessert.

Optimieren in Echtzeit, testen am Demonstrationsfahrzeug – zur Darstellung verschiedener Antriebsvarianten
Wesentlich für den Erfolg der Arbeit und die Aussagekraft der Untersuchungen sind der Entwurf eines Echtzeitoptimierungsverfahrens sowie neuartige Ansätze zur Regelung der Fahrdynamiksysteme. Das gebündelte Know-how aus den unterschiedlichen Fachbereichen am VIRTUAL VEHICLE wie Mechanik sowie Elektrik, Elektronik & Software macht dies möglich. Im Zuge der Entwicklung wurde ein Range Rover Evoque als Demonstrationsfahrzeug aufgebaut, der im ersten Schritt über zwei individuell angetriebene Räder verfügt. Auf dieser Basis wurden zahlreiche Versuche durchgeführt, um Daten zur Verbesserung der Steuerungsalgorithmen zu erhalten. Die 2WD Variante mit integrierter E-VECTOORC Steuerung in funktionsfähigem Zustand war am diesjährigen 6. Grazer Symposium „Virtuelles Fahrzeug“ vom 14. bis 15. Mai in Graz/Österreich ausgestellt. In weiterer Folge wird das Demonstrator-Fahrzeug nach dieser Veranstaltung auf Allradantrieb (vier individuell angetriebene Räder) umgebaut, damit die 4WD Funktionalitäten entwickelt und getestet werden können. „Generell bietet das elektrifiziert angetriebene Fahrzeug viele konstruktionsbasierte Möglichkeiten, die bisher wenig bis gar nicht genutzt wurden. Dieses Potential wollen wir weiter ausschöpfen.”, so Zehetner.

Forschungsschwerpunkte beim VIRTUAL VEHICLE
Dr. Jost Bernasch, Geschäftsführer des VIRTUAL VEHICLE: „Ein zentrales Entwicklungsziel dieses spannenden Projekts ist der Entwurf eines echtzeitfähigen Optimierungsverfahrens, das erstmals die direkte Verbindung der Systeme Energiemanagement und Fahrdynamikregelung im Fahrzeug ermöglicht. Es freut uns ganz besonders, dass dieser Task federführend vom VIRTUAL VEHICLE betreut wird.“

Weitere Forschungsthemen für das VIRTUAL VEHICLE im Projekt neben der neuartigen Regelung für ABS, Traktionskontrolle und Torque-Vectoring sind die Entwicklung von Methoden zur automatisierten Abstimmung der Regelungssysteme, die Modellierung der Fahrereingaben und die Integration der Buskommunikation (CAN, FlexRay). (LE)

Quelle: LOGISTIK express Fachzeitschrift 2/2013

 

Die Konsortialpartner des VIRTUAL VEHICLE im Projekt E-VECTOORC sind:

• Flanders‘ DRIVE (B)
• Fundación CIDAUT (E)
• Instituto Tecnológico de Aragón (E)
• Inverto (B)
• Jaguar (UK)
• Land Rover (UK)
• Škoda Auto (CZ)
• Technische Universität Ilmenau (D)
• TRW Automotive Lucas Varity (D)
• University of Surrey (UK, Lead)

Quelle: http://e-vectoorc.eu

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