TU-Forscher untersuchen Risiken in der Lieferkette

  
Unternehmensübergreifende Versorgungsketten sind aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften oft sehr verwundbar. 

Fließbänder stehen still, weil Zulieferer ausfallen oder Produktionen lahmgelegt werden. Wie Unternehmen Risiken in der Supply Chain vermindern können, haben Forscher der TU Dortmund aus unterschiedlichen Blickwinkeln untersucht.

In seiner empirischen Studie hat Prof. Hoffjan, Inhaber des Lehrstuhls für Controlling, gemeinsam mit Thorsten Pohl insgesamt zwölf Praktiker, vornehmlich aus dem produzierenden Gewerbe, befragt. Insgesamt konnte Professor Hoffjan in der Studie fünf Top-Risikobereiche ausmachen: Produktion, Lieferunfähigkeit der Lieferanten, Prozessstabilität, Risiken auf Kundenseite sowie Qualität. Dabei werden Risiken, an die jeder sofort denkt, wie z.B. Streik, Naturkatastrophen oder auch politische Risiken, überbewertet. Es sind vielmehr die Risiken, mit denen man nie gerechnet hat, die die Schwierigkeiten verursachen. Zum Beispiel bei einem Werk in Malaysia hat es nie geregnet und plötzlich gab es da einen Wasserschaden, verursacht durch die weltweiten Klimaveränderungen. Das sind Risiken, über die man eigentlich gar nicht nachdenkt.

Besonders schlanke Lieferketten sind in ihrer Versorgungssicherheit gefährdet. Auch die Automobilproduzenten haben erkannt, dass man die Zulieferer nicht auch noch um das letzte Hemd bringen kann. So formulierte es ein Praktiker in der Studie des Controlling-Experten: „Wir müssen im Bereich Beschaffung dafür sorgen, dass es unseren Lieferanten gut geht und sie nicht kurz vor der Insolvenz stehen.“

Was hilft? Eine systematische Analyse bis zur Wurzel des Problems. Prof. Hoffjan verdeutlicht das an einem Beispiel aus seiner Studie: „Was ist das größte Risiko? Wenn die Produktion ausfällt. Und wodurch kann die Produktion ausfallen? Es gibt eine Reihe von Ursachen und wenn man dann die ganze Kette durchgeht und schließlich wird ein ganz kleines, vermeintlich unwichtiges Detail ausgemacht. Ein Kompressor, der die ganze Produktion mit Druckluft versorgt und wenn der ausfallen würde, wäre die ganze Produktion am Ende.“

„Erst die Installation und der systematische Aufbau betrieblicher Risikoinformationssysteme ermöglichen ein effizientes Risikomanagement“, betont Professor Lackes, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik. Hierfür sind die wichtigsten Risiken und ihre Einflussgrößen mit ihren komplexen Wechselwirkungen zu identifizieren und für eine kontinuierliche, systematische Dokumentation der relevanten Eingangsdaten zu sorgen. Nur so lassen sich Risiken bewerten und ihre Entwicklung verfolgen, die Risikowirkungen von Entscheidungen, z.B. Wechsel eines Lieferanten, quantifizieren und verrechnen, so dass Maßnahmen zur Risikovermeidung und Risikobewältigung betriebswirtschaftlich beurteilt werden können.

„Selbstverständlich kann in einer globalisierten Welt mit vielfältigen internationalen Verflechtungen kein Unternehmen risikolos tätig werden. Man sollte allerdings die unvermeidlichen und bewusst in Kauf genommenen Risiken und ihre ökonomischen Folgen kennen“, so Prof. Lackes. Die Dokumentation und Erfassung in einem Informationssystem zwingt das Management, „Farbe zu bekennen“, welche Risiken für welche Aktionen eingegangen wurden. „Wir brauchen eine langfristig ausgerichtete Risikoverantwortungsrechnung“, betont Lackes. Kein Entscheidungsträger wird kritisiert werden können, wenn er risikobehaftete Entscheidungen trifft, sofern diese mit der strategischen Risikopositionierung des Unternehmens vereinbar sind und begründete Chancen und Erfolgspotentiale die Risiken rechtfertigen. Die informationstechnische Unterstützung durch entsprechende DV-Tools ist eine überschaubare Investition in die langfristige Existenzsicherung und für ein modernes Risikomanagement unverzichtbar.

Woran aber scheitert das Risikomanagement in der Supply Chain? „Das Kind muss erst in den Brunnen fallen“, so Professor Hoffjan. „Erst wenn Unternehmen massive Probleme in der Versorgungskette haben, erkennen sie die Notwendigkeit einer stabilen Supply Chain und damit den Bedarf eines Risikomanagement. „Vielleicht sind auch wir Controller mit unseren überzogenen Renditeforderungen daran Schuld.“, so der Controlling-Experte nicht ganz ohne Selbstironie. Häufig haben Unternehmen Vorgaben, dass sich die Investition im ersten, spätestens aber im zweiten Jahr rechnen muss.

Gerade bei solchen Maßnahmen, um eine Supply Chain stabiler durch effektives Risikomanagement zu machen, ist es natürlich schwer darzustellen, wo die positive Rendite herkommen soll. Der bewertbare Nutzen würde erst dann sichtbar, wenn ein Schadensfall eintritt. Fehlende Risikoinformationssysteme und unzureichende DV-gestützte Risikoanalysetools sind weitere Ursachen für die Vernachlässigung dieses Aspekts. Mit DV-gestützten Risikotools sollten, wie Prof. Lackes betont, nicht nur existenzbedrohende Risiken erfasst werden, und diese erst, wenn sie tatsächlich eingetreten sind.

„Niemand legt den Sicherheitsgurt erst an, wenn der Unfall bereits passiert ist.“ Alle relevanten Risiken, z.B. Wahl der Sicherheitsbestände oder Wechselkursabsicherungen, sind zu berücksichtigen, und dies bereits im Vorfeld, bevor sie eingetreten sind. „Glück oder Pech dürfen keine betriebswirtschaftlichen Erfolgsgrößen für Managemententscheidungen werden.“, so der Fachmann für Wirtschaftsinformatik.

Das Risikomanagement in der Supply Chain ist eines der zentralen Themen der Tagung „Supply Chain Management im Mittelstand“ der Wiso-Fakultät der TU Dortmund. Die vom 18.-19. Juni stattfindende Konferenz führt Wissenschaftler und Praktiker zusammen. Die Tagung will Wege aufzeigen, wie mittelständische Unternehmen ihre Lieferketten besser organisieren können. Dazu werden namhafte Referenten aus Theorie und Praxis erwartet, u.a. der Produktions-Papst Prof. Horst Wildemann und der frühere Stanford-Professor Ulrich Thonemann. 

Quelle: MyLogistics

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