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Zweiter Gotthard-Straßentunnel

Die Bahn- und Straßenroute durch den Gotthard zählen zu den aufkommenstärksten Nord-Süd-Alpenquerungen. Die ab 2020 geplante Grundsanierung der Straßenröhre birgt große Gefahren für die Schweizer sowie für die deutsche und italienische Wirtschaft. Reichlich spät wird eine zweite Straßentrasse diskutiert.  

Immer wieder muss die Bahnlinie durch den Gotthard tagelang – wie zuletzt im März und Juni – in Folge von  Felsstürzen und Erdrutschen entlang der Zufahrtsstrecken gesperrt werden. In der Ferienzeit staut sich der Verkehr am Gotthard kilometerlang. Der Gotthard ist ein Nadelöhr für den Nord-Süd-Verkehr innerhalb der Schweiz sowie für den Im- und Export mit Italien – immerhin zweitwichtigster Handelspartner der Schweiz. Und mehr Ungemach droht. Der Gotthard-Straßentunnel soll ab 2020 für Sanierungsarbeiten während drei Jahren komplett gesperrt werden. Der Schweizer Bundesrat kündigte nun Ende Juni an, für die nötige große Sanierung  eine zweite Röhre bauen zu wollen. Das rund 2,8 Mrd. CHF teure Projekt sei die sinnvollste Lösung und sorge dafür, dass die Straßenverbindung zum Tessin aufrechterhalten bleibe.  
 
Realität prallt auf Ideologie
Eine zweite Röhre für den Autoverkehr stelle die milliardenschweren Investitionen in die NEAT (Neue Eisenbahn-Alpentransversale ) in Frage, halten die SP-Nationalräte Evi Allemann (BE), Roger Nordmann (VD) und der Bündner SP-Politiker Jon Pult dagegen. Die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene würde mit dem Straßenausbau sabotiert – obwohl das Volk sich immer wieder für die Verlagerung ausgesprochen habe. Linke und grüne Parteien wollen deshalb das Projekt im Parlament und allenfalls per Referendum bekämpfen. In der Tunnelsanierung sieht die SP eine Chance, die Verlagerung etwa mit einer Alpentransitbörse oder einer rollenden Landstraße voranzutreiben. Der Kanton Uri lehnt die Pläne für einen zweiten Straßentunnel ebenfalls ab.
 
Bei der ASTAG (Schweizerischer Nutzfahrzeugverband) und der Tessiner Regierung stößt der Vorschlag des Bundesrats dagegen auf breite Zustimmung. Eine Entscheidung pro oder kontra einer zweiten Röhre mit richtungsgetrennter, einspuriger und damit sichererer Verkehrsführung wird aber kaum vor 2015 fallen. Und damit wird es zeitlich eng; denn die Röhre müsste binnen fünf Jahren fertig gestellt werden.
 
Gescheiterte Verlagerungspolitik
Der Streit um einen zweiten Gotthard-Straßentunnel wird durch die Ergebnisse einer  2011 veröffentlichten Analyse der seit Jahren in der Schweiz verfassungsbedingt betriebenen Verlagerungspolitik angeheizt. Der Verlagerungsbericht 2011 zeigt deutlich, dass die Politik gescheitert ist. Das Ziel, die Zahl alpenquerender Lkw bis 2018 auf 650.000 zu senken, wird nicht erreicht werden. 2011 querten ungefähr 1,25 Mio. Lkw die Alpen, statt der im Gesetz als Zwischenziel geforderten 1 Mio. Die Inbetriebnahme der NEAT ist für 2017 geplant. Da sich die Ertüchtigung der Anschlussverbindungen in Deutschland und in Italien massiv gegenüber der Planung verzögert, wird die Auslastung anfänglich unter den Erwartungen bleiben. 
 
Darüber hinaus konnte bisher bei jeder Bahn- oder Straßentunnelsperrung am Gotthard das Transportgewerbe dank großer Flexibilität und Kreativität seine Transportaufträge abgesehen von wenigen Ausnahmen weitgehend reibungslos erfüllen. Schwierigkeiten mit Umwegfahrten gab es nur beim Transport von Postsachen ins Tessin. 
 
Es gibt zudem Ausweichrouten. Güter und Reisende können über den San Bernardino, den Simplon oder den Großen Sankt Bernhard umgeleitet werden. Deutsche Unternehmen können im Italienverkehr auf österreichische oder französische Straßen ausweichen. Trotzdem gehen Verkehrsexperten davon aus, dass die Erweiterung der Bahnkapazitäten mit der Eröffnung der NEAT weder zu einer markanten Verringerung des Lkw-Verkehrs führen, noch genügend Kapazität bieten wird, um den Güter- und Personenverkehr bei einer Straßentunnelsperrung einschränkungsfrei bewältigen zu können.
 
Störanfällige Bahnstrecken
Auch die Simplon-Bahntrasse ist störanfällig. Erdrutsche, Felsstürze und Unfälle kommen immer wieder vor. Im August wurde die Bahnlinie auf Grund von Sanierungsarbeiten auf der italienischen Seite für drei Wochen gesperrt. 
 
Zur Minderung der Auswirkungen von Bahn- und Straßensperrungen am Gotthard forderte der ASTAG im Sommer ein zuverlässiges Notfallregime, das automatisch in Kraft tritt, wenn eine Streckensperrung notwendig wird. So sollte der Bund in solchen Situationen den Schwerlastverkehr an Wochentagen gegenüber dem Personenverkehr bevorzugt behandeln. Außerdem sollte der Bund pauschale Nachtfahrbewilligungen für Lastwagen ausstellen. Die Gewichtsbegrenzung für Lkw auf der Gotthardroute sollte von 40 auf 44 t angehoben werden. Einschränkungen für LKW, die im Tessin und in Uri auf den A2-Zufahrtsstrecken oder für die Gotthard-Passstraße gelten, sollten gelockert werden. Lockerungen will der ASTAG auch für Gefahrentransporte durch den Gotthardstraßentunnel. Die Erfolgsaussichten für die Erfüllung dieser Forderungen sind verschwindend gering, solange die Förderung des Bahnverkehrs zu Lasten des Lkw-Verkehrs in Bern Priorität hat.   (US)

 

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