„Amazon Locker könnte der Schwerthieb sein“

Lange hat sich Online-Händler Amazon beim Versand seiner Ware der Kapazitäten großer Anbieter bedient und ist mit ihnen gemeinsam gewachsen. Nun ändert der Konzern seine Strategie und baut sich sukzessive selbst zum Logistik-Dienstleister auf.

Interview mit Dr. Thomas Roeb, Professor für Handelsbetriebslehre und Marketing an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in Deutschland, über die Ziele und die Folgen für den Markt. Vor allem in „Amazon Locker“, dem Pendant zu den Packstationen von DHL, sieht der Handelsexperte einen wirkungsvollen Hebel für Amazons eigene Logistik-Bemühungen.

Redaktion: Bijan Peymani

Logistik express: Herr Roeb, Amazon weitet die eigenen Logistik-Fähigkeiten – zunächst vor allem im Heimatmarkt – konsequent aus. Wie ernst muss man dies nehmen?

Prof. Dr. Thomas Roeb: Sehr ernst. Amazon ist zwar ein Gigant des E-Commerce, aber ein Gigant auf tönernen Füssen. Der Konzern selbst erklärt seine geringe Profitabilität mit den laufenden Investitionen, aber Google und Apple investieren auch und verdienen sich trotzdem eine goldene Nase. Amazon muss Profitabilität suchen, wo es sie gibt, und ein Feld ist die Logistik.

Logistik express: Ist aber das nicht mit immensem finanziellen Aufwand verbunden? In den USA hat Amazon jüngst 1.000 Sattelzüge gekauft und 20 Frachtflugzeuge geleast.

Roeb: Natürlich bedingt die Strategie Investitionen. Aber aufgrund seiner Größe ist das Unternehmen in der Lage, eigene Logistik-Strukturen zumindest in bestimmten Bereichen so auszulasten, dass sie billiger sind als die bisher eingekauften Transportleistungen.

Logistik express: Angeblich plant Amazon, das in den USA und Großbritannien etablierte „Amazon-Locker“-Modell auch in Europa einzuführen. Welche Standorte bieten sich an?

 Roeb: „Amazon Locker“ könnte der Schwerthieb sein, mit dem sich der gordische Knoten der hohen Kosten der letzten Meile durchschlagen lässt. Naheliegend sind hochfrequente Orte in großen Städten. Aber auch auf dem Land, wo die Entfernungen für die Kuriere besonders lang und die Erreichbarkeit der Adressaten besonders schwierig sind, könnte „Locker“ interessant sein. Sinnvoll wären dann Standorte an stark befahrenen Straßen oder sogar Innenstadtlagen in preiswerten Nebenstraßen.

Logistik express: Bisher war neben Hermes vor allem DHL in Deutschland der Logistik-Partner. Weshalb riskiert Amazon die Konfrontation – liegt es am schlechten Service?

Roeb: Servicemängel mögen eine Rolle spielen, aber so groß, dass sie allein die enormen Investitionen in den Aufbau der Logistik-Infrastruktur rechtfertigten, sind sie sicher nicht. Strategisch, das heißt langfristig, sind die Kostenersparnisse aus eigener Logistik sicher interessanter.

Logistik express: Steht zu erwarten, dass der Konzern freie Logistik-Kapazitäten, analog zum Cloud-Computing, auch an andere Firmen verkauft?

Roeb: Davon muss man ausgehen. „Amazon Web Services“ sollte ursprünglich der besseren Ausnutzung der Rechenkapazitäten für das eigene Geschäft dienen. Heute ist es der mit fast acht Milliarden US-Dollar Umsatz weltweit größte Cloud-Dienst, dessen Kapazitäten auch andere Unternehmen nutzen. Transportkapazitäten wären strukturell nicht völlig anders zu interpretieren.

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