| |

Baustellenlogistik funktioniert schwimmend wie geschmiert

Großbaustellen nerven die Bürger und laufen in der öffentlichen Wahrnehmung selten ohne Probleme ab. Aber die erheblichen Materialmengen, die rund um Großbaustellen bewegt werden müssen, erfordern eben sowohl in der Beschaffung wie auch in der Produktion und Entsorgung ein zeitlich begrenztes Transportaufkommen, das von der örtlichen Verkehrsinfrastruktur oft nur schwer bewältigt werden kann.  Redaktion: Peter Baumgartner

Es erfordert daher eine Baustellenlogistik, die dafür sorgt, dass alle Transporte neben den wirtschaftlichen Abwägungen auch die Interessen der Anwohner und des Umweltschutzes berücksichtigen. Eine Baustellenlogistik kann also nur dann wirklich erfolgreich sein, wenn bereits in der Ausschreibungsphase alle Notwendigkeiten vertraglich berücksichtigt werden. Geschieht das nicht oder nicht im ausreichenden Maß, dann ziehen sich die Probleme über den gesamten Zeitraum des Bauvorhabens und hinterlassen nicht selten einen dauerhaften Imageschaden beim den ausführenden Stellen. Besonders die Wahl der richtigen Transportmittel für anstehende Transportaufgaben ist eine zentrale und nachhaltig wirkende Entscheidung. Um Umweltbelastungen zu reduzieren, ist die Vermeidung von LKW-Fahrten und die Verlagerung von Transporten auf die Schiene und Wasserstraße das oberste Gebot jeder Baustellenlogistik. Leider stehen Bahn und  Wasserstraße nicht bei jeder Baustelle zur Verfügung. Aber auch dort, wo beide alternativen Verkehrsträger verfügbar sind, werden sie oft nicht zwangsläufig in die Baustellenlogistik integriert, weil entsprechende Normen fehlen. Gänzlich fehlt in der Baustellenlogistik derzeit die Nutzung der Wasserstraße als temporäres Zwischenlager. In Österreich könnte die ON-Regel ONR 22251 dazu beitragen, dass auch Schiffstransporte grundsätzlich in der allgemeinen Transportlogistik auf Baustellen Berücksichtigung finden.
 
Ein Kranballett feiert eine gelungene Baustellenlogistik
Viele Transportprobleme auf Großbaustellen ließen sich mit dem Schiff wunderbar lösen. Manche Großbaustelle, denkt man zum Beispiel an einen Offshore Park oder Brückenbau, wäre ohne den Schiffstransport gar nicht möglich. Zahlreiche Beispiele zeigen aber, dass auch Binnenwasserstraßen einen erheblichen Beitrag zur Bewältigung der Transportaufgaben auf Großbaustellen beitragen können. Ein typisches Beispiel ist die legendäre Baustelle Potsdamer/Leipziger Platz in Berlin, die 1993 mit einer Länge von 3,1 km und einer Breite von 1 km damals als größte Baustelle Europas galt. Das beauftragte Baumanagement entschied sich für ein höchst unkonventionelles Logistikkonzept. Die gigantische Baustelle sollte fast ausschließlich per Bahn und Schiff ver- und entsorgt werden. Das Management ging sogar soweit, dass die zahlreich beauftragten Firmen nicht selber über die Wahl des Transportmittels entscheiden konnten, sondern jeder einzelne Transportauftrag eben per Bahn oder Schiff zentral gesteuert wurde. Als dann im Jahre 1996 ein Kranballett mit neunzehn Kränen unter der Leitung von Daniel Barenboim zu Beethovens 9. Sinfonie das Richtfest tanzte, konnte das Baumanagement ein Logistikergebnis vorweisen, dass noch heute als Lehrbeispiel für eine perfekte Baustellenlogistik gilt. Statt der erwarteten 5.000 LKW pro Tag durch die Stadt waren dank Bahn- und Schiffstransport außerhalb der Baustelle nur noch 25 LKW tätig. Damit reduzierte sich der jährliche Stickoxidausstoß von 220 Tonnen auf gerade noch 60 Tonnen und der normale Verkehr in der Hauptstadt war trotz Megabaustelle überhaupt nicht beeinträchtigt. In der etwa 4-jährigen Bauphase wurden insgesamt rund 30 Millionen Tonnen verschiedener Güter für die Baustelle in Bewegung gesetzt. Etwa 6 Millionen Tonnen davon entfielen auf das Aushubmaterial, das mit Schwimmbaggern ausgehoben und per Binnenschiff über den Landwehrkanal aus der Stadt verbracht wurde. Obwohl der Großbaustelle das Umweltmäntelchen erst später umgehängt wurde, wurde gerade diese Baustelle zu einer der umweltfreundlichsten Baustellen in Europa, die bisher abgeschlossen werden konnten. 
 
Mit der Schifffahrt ist Britannien eng verbunden
Ein anderes Beispiel einer gelungenen Großbaustelle dank Schiffstransport ist Olympia 2012 in London. Wenn am 27. Juli die Athleten unter dem Motto „eine Generation inspirieren“ zur Eröffnung einmarschieren, dann wird auch die Inspiration einer neuen Generation von Baustellenlogistikern nach einer siebenjährigen Bauphase seinen Höhepunkt finden. Von Anfang an hatte es sich die Olympic Delivery Authority (OGA) zum Ziel gesetzt, in jeder Bauphase die nachhaltigen Verkehrslösungen zu maximieren und mindestens 50 % der Transporte von der Straße weg zu verlagern. Kanäle wurden ausgebaut und sogar eine neue Schleusenanlage errichtet, um den Zu- und Abtransport zu den Baustellen möglichst effizient zu gestalten. Spezielle Wasserfahrzeuge, so genannte Barges mit 350 Tonnen Tragfähigkeit, wurden innerhalb eines 8,35 Kilometer langen Wasserstraßennetzes in und um den Olympiapark eingesetzt. Auch wenn sich die Binnenschifffahrt noch mehr Transportbeteiligung gewünscht hätte, es ist ihr zumindest gelungen, einen wesentlichen Beitrag zu leisten, und die neu geschaffene Schiffs-Infrastruktur wird ihre nachhaltige Wirkung nicht verfehlen.
 
Marx und Engels weichen der Binnenschifffahrt
Aktuell sorgt in Berlin wieder eine Großbaustelle auf historischem Gebiet für logistische Aufmerksamkeit. Ein Bieterkonsortium hat die Aufgabe übernommen, die Vorbereitungsarbeiten zur Errichtung der neuen 1,6 Kilometer langen U5-Tunnelstrecke mit zwei neuen Bahnhöfen durchzuführen. Um den Bodenaushub zu verfrachten, wurde ein eigener Hafen in Baustellennähe am Marx-Engels-Forum gebaut, wo die Lastschiffe über Förderband beladen werden. 120.000 m3 Erdreich werden so per Schiff transportiert und damit der Bezirk Berlin Mitte um 12.000 LKW-Fahrten entlastet. Auch die notwendigen Betonteile zum Tunnelausbau, werden über die Spree transportiert und direkt vor Ort gelagert. Dass dafür das Denkmal von Karl Marx und Friedrich Engels vorübergehend einen Ortswechsel machen muss, wird die beiden Herren nicht stören. Immerhin geht es um eine schonende Baustellenführung im Interesse der Bürger. Wenn 2018 der Probebetrieb auf der neuen U-Bahnstrecke aufgenommen wird, wird Berlin einmal mehr als Vorzeigestadt hinsichtlich innovativer Baustellenlogistik in die Lehrbücher eingehen.
 
Ohne Binnenschiff gibt es Ärger
Diese Ehre dürfte der brandenburgischen Landesregierung wohl nachhaltig versagt bleiben. Ohne jegliche Planung und Prüfung wurde dort nämlich aktuell eine Altkörpersanierung (Bauschuttdeponie Deetz/Havelland) durch zugelieferte Erde per LKW beschlossen und vergeben. Dabei handelt es sich um ein beträchtliches Auftragsvolumen, das in der Gesamtheit bis in das Jahr 2021 reicht und allein 2012 annähernd 210.000 m3 Bodenmaterial durch 24.000 LKW-Fahrten beinhalten wird. Obwohl der Be- und Entladeort über einen Hafenanschluss verfügen, wurde das Binnenschiff als alternative Transportlösung nicht in Erwägung gezogen. Das beauftragte Unternehmen war der Meinung, dass die relativ kurze Entfernung von 25 Kilometer per Binnenschiff wirtschaftlich nicht darstellbar ist. Ein Transportkostenvergleich wurde allerdings nicht gemacht. Demnach wurden auch die externen Kosten nicht untersucht und vom Auftraggeber, dem Land Brandenburg, auch nicht eingefordert. Die Folge: mehr als 100 LKW donnern täglich durch kleine Ortschaften, bringen Anwohner zur Weißglut und hinterlassen schwere Schäden an der Landstraßen-Infrastruktur.
 
Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik setzt auf das Schiff
Das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) bietet neben der Forschungsarbeit auch eine Logistikberatung von Spezialisten. Im Bereich Baulogistik kann das Institut mit dem Kompetenzzentrum Baulogistik im Hintergrund, Konzepte und Antworten auf alle Herausforderungen, von der Planung bis hin zur Umsetzung bieten. Dipl.-Ing. Dörmann vom IML ist der Meinung, dass die Binnenschifffahrt für die Ver- und Entsorgung von Baumaßnahmen bisher noch bei wenigen Bauvorhaben umgesetzt wurde. 
 
In Abhängigkeit von der Lage der Baustelle bietet die Binnenschifffahrt jedoch eine echte Alternative zum LKW und zur Schiene. Auch bei den Vorbereitungsarbeiten zur Großbaustelle Olympische Spiele in Sochi, wo IML involviert ist, werden Häfen ausgebaut, damit die enormen Massenbewegungen ökologisch und ökonomisch günstig erfolgen können. 
 
Schiffswerft Korneuburg erwacht aus dem Dornröschenschlaf
In Österreich kommt gerade eben auch eine Großbaustelle langsam in Bewegung. Die ehemalige Schiffswerft Korneuburg an der Donau soll eine neue Bestimmung erhalten. Alle Beteiligten haben erkannt, dass dieses 150.000 Quadratmeter große Gelände ein Asset für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ist. Tatsächlich hat der Hafen auf Grund der unmittelbaren Nähe zur Bundeshauptstadt und den trimodalen Verkehrsmöglichkeiten, eine größere Entwicklungschance als der Hafen Wien selber – zumal bereits an einen direkten Autobahnanschluss gedacht wird. Außerdem muss Wien schon jetzt wertvolle Wasserflächen verlanden, um Platz für neue Stellflächen zu schaffen. Gelingt das Hafenprojekt Korneuburg, dann wird sich die Elite der Baustellenlogistik dort versammeln und hoffentlich auch an das Potential der Binnenschifffahrt denken.  (PB)

Quelle: Logistik express Print- und E-Paper Ausgabe 2-2012  

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar