Deutscher Handel im Krisenmodus: Anpassungen an neue Ausgangslage sind unvermeidlich
Seit nunmehr drei vollen Monaten befindet sich der deutsche Handel im Krisenmodus. Stationärer wie Online-Handel leiden unter den staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Zwar ist der Online-Handel bislang etwas besser weggekommen – schließlich hatte ein großer Teil seiner stationären Konkurrenz für einige Wochen fast vollständig brach gelegen – Umsatz- und Gewinneinbrüche hat aber auch er einstecken müssen. Und die Krise ist noch längst nicht vorbei.
Beitrag: Redaktion.
Für die kommenden sechs Monate geht der Handelsverband Deutschland (HDE) von 15 Milliarden Euro Umsatzverlust aus. Insgesamt würde sich der Corona-bedingte Verlust damit bis zum Jahresende 2020 auf 40 Milliarden Euro summiert haben. Um hier zu überleben, werden viele Händler ihre Geschäftsmodelle an die veränderte Ausgangslage anpassen müssen. Nur die wenigsten von ihnen verfügen hierzu aber noch über ausreichend finanzielle Ressourcen.
Insgesamt ging der Umsatz des deutschen Handels zwischen März und April um 5,1 Prozent zurück – der stärkste Einbruch seit Januar 2007! Laut einer Umfrage des HDE sieht mehr als jedes dritte deutsche Handelsunternehmen seine Existenz mittlerweile ‚massiv bedroht‘. Bei rund einem Drittel der befragten Händler liegen die Umsätze derzeit bei maximal 50 Prozent des Vorjahreszeitraums. Bei einem weiteren Viertel liegen sie zwischen 50 und 75 Prozent. Für Viele sind die Verluste der vergangenen drei Krisenmonate nicht mehr aufzuholen. Sie stehen am Rande ihrer Existenz.
Die Corona-bedingten staatlichen Beschränkungen haben den deutschen Handel erheblich unter Druck gesetzt. Betrieb und Logistik konnten nur stark eingeschränkt aufrechterhalten werden. Zulieferer fielen teilweise oder auch zur Gänze aus. Laut Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (bevh) hatten sich bereits im März fast 60 Prozent der deutschen Online-Händler mit Verzögerungen ihrer Zulieferer konfrontiert gesehen. Dabei dürften sich die wahren Auswirkungen auf den Handel eigentlich erst jetzt in größerem Umfang bemerkbar machen – wo die Warenlager der auf Just-in-time-Produktion getrimmten Industrie zu versiegen beginnen. Bis die weltweite Produktion wieder vollständig hochgefahren sein wird, dies gilt schon jetzt als sicher, wird es noch geraume Zeit dauern – Monate, möglicherweise Jahre.
Ein weiteres Problem tritt hinzu: Kunden haben ihr Einkaufsverhalten verändert – grundlegend und schnell. So schnell, dass der deutsche Handel mit der Anpassung seiner Warensortimente nicht mehr rechtzeitig hinterhergekommen ist. Nun steht er vor dem Problem, dass seine Lager mit Waren gefüllt sind, die nur schwer abgesetzt werden können, er überhaupt keinen Platz – auch keine Zulieferer – für neue, absetzbare Ware hat.
Wollen sie die Krise erfolgreich überstehen, werden deutsche Händler ihr Geschäftsmodell deshalb grundlegend überdenken und an die veränderte Ausgangslage anpassen müssen. Zumindest vorübergehend werden sie sich zusätzliche Lagerflächen kaufen oder anmieten müssen. Rabattschlachten und Verkäufe über Zweitverwerter werden für die meisten von ihnen wohl dennoch unvermeidlich sein. Neue Produktpaletten werden zusammengestellt, neue Zwischenhändler gefunden und angezahlt werden müssen. All dies wird die diesjährige Gewinnmarge noch einmal deutlich schmälern und für viele Händler mit erheblichen Schmerzen verbunden sein.
Dennoch: der deutsche Handel wird Initiative zeigen müssen. Um ein Mehr an Lagerhaltung, an Umstrukturierung – teilweise auch Austausch – der Zwischenhändler, an Anpassung an Angebot und Nachfrage wird er in diesem Jahr, dem Jahr der Corona-Krise, nicht herumkommen.
Doch muss all dies auch finanziert werden. Viele Händler haben ihr Kreditlimit längst erreicht. Aufgrund der branchenweit angespannten Finanzlage hat der HDE bereits vor einigen Wochen ein staatliches Konjunkturprogramm angemahnt. Auch die Bundesregierung scheint Handlungsbedarf zu sehen. Sie bangt um die Stabilität der deutschen Lieferketten. Erst kürzlich wurden Warenkreditversicherungen deutscher Versicherer mit einem 30 Milliarden Euro schweren staatlichen Schutzschirm zusätzlich abgesichert.
Ihre Hoffnung: dass die deutsche Versicherungsbranche ihr Kreditvolumen von derzeit 411 Milliarden Euro hält und ausbaut, so dass Deckungszusagen für Handelsgeschäfte bereitwilliger gewährt werden. Der Gesamtverband der deutschen Versicherungs-wirtschaft sieht hier derzeit zwar nur wenig Spielraum, glaubt aber auch, dass Zusagen für Warenkreditversicherungen ab sofort wieder etwas großzügiger gehandhabt werden können.
Nun ist eine bessere Zugänglichkeit zu Warenkreditversicherungen für viele Händler fraglos besser als nichts. Ihre zwingend erforderlichen Umstrukturierungen werden sie über diese aber kaum finanzieren können. Einige werden versuchen, bei ihrer Hausbank einen Kredit zu erhalten. Schon vor der Pandemie standen die Chancen hierfür aber eher schlecht. Nun, in Zeiten von Corona, in Zeiten erhöhter Ausfallrisiken, dürfte es für sie doppelt schwer werden, ihr Geschäftskapital auf regulärem Wege aufzustocken. Viele Händler, gerade kleine und mittlere, dürften ihre Kreditlinie in dieser angespannten Phase ohnehin längst erreicht haben. Eine reguläre Finanzierung scheidet für sie also aus.
Einen letzten Ausweg, doch noch an Kapital für lukrative Handelsgeschäfte zu kommen – und dies flexibel und rasch – dürfte ihnen einzig eine alternative Finanzierungslösung bieten. Lagerfinanzierung, Factoring und vor allem das Finetrading eröffnen auch Unternehmen mit ausgereizter Kreditlinie und knapp bemessenem Geschäftskapital die Möglichkeit, rentable Handelsgeschäfte umzusetzen, das Geschäft am Laufen zu halten und die Corona-bedingte Umstrukturierung ihres Geschäftsmodells am Ende doch noch umzusetzen und erfolgreich abzuschließen. (RED)
Quelle: LOGISTIK express Journal 3/2020