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Klientelpolitik statt Fairness in Lebensmittel-Wertschöpfungskette: UTP-Ministerratsbeschluss als Freibrief für große Erzeugerkonzerne

Der österreichische Lebensmitteleinzelhandel (LEH) lehnt unlautere Geschäftspraktiken kategorisch ab und setzt auf eine transparente, faire Zusammenarbeit mit seinen Lieferanten. Der heutige Ministerratsbeschluss zur Änderung des österreichischen Wettbewerbs- und Nahversorgungsgesetzes (= nationale Umsetzung der europäischen UTP-Richtlinie) sorgt jedoch für Irritationen bei vielen heimischen Händlern.

Mit der am Ende des Jahres in Kraft tretenden Gesetzesänderung sollten eigentlich unfaire Geschäftspraktiken in der gesamten Lebensmittel-Wertschöpfungskette hintangehalten werden. Landwirtschaftsministerin Köstinger hat nun allerdings fragwürdige Änderungen eingebracht, welche an den ursprünglichen Intentionen der UTP-Richtlinie völlig vorbeigehen.

Kritikpunkt 1: Ausweitung der Umsatzschwelle für Lieferanten von 350 Mio. auf 1 Mrd. Euro

Laut EU-Richtlinie sollen Lieferanten mit einem Jahresumsatz bis zu 350 Millionen Euro gegenüber Käufern bzw. Händlern geschützt werden. Der Köstinger-Entwurf sieht jedoch eine Verdreifachung dieser Umsatzschwelle aus. Geschützt werden sollen nun Lieferanten mit einem Jahresumsatz bis zu einer Milliarde Euro gegenüber Käufern bzw. Händlern mit einem Jahresumsatz von mehr als fünf Milliarden Euro. Bundesministerin Köstinger schießt damit weit über das Ziel hinaus, die laut eigenen Angaben vor allem „kleinen“ Erzeuger vor unfairen Handelspraktiken schützen zu wollen.

Dass mit dieser Ausweitung des Schutzbereichs eindeutig Klientelpolitik betrieben wird, zeigt auch ein Passus im Gesetz, wonach ausschließlich im Verhältnis zu Behörden nur Lieferanten mit einem Jahresumsatz bis 350 Millionen Euro geschützt werden sollen.

Rainer Will Handelsverband

Welcher kleine Erzeuger erwirtschaftet einen Umsatz von einer Milliarde Euro? Es muss endlich Schluss mit Klientelpolitik sein. Die Ausweitung des Schutzbereiches auf eine Milliarde Euro ist nicht gerechtfertigt und hat wohl den Hintergrund, auch die großen Molkereien ‚schützen‘ zu wollen“, so Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbandes.

Kritikpunkt 2: Kartellrechtlich fragwürdige zusätzliche „verbotene Handelspraktiken“

Auf die Liste der verbotenen Handelspraktiken wurde zusätzlich eine kartellrechtlich sehr fragwürdige Bestimmung aufgenommen. Der Käufer darf dem Lieferanten bei Bestehen eines wirtschaftlichen Ungleichgewichts ohne sachliche Rechtfertigung bei gleichwertiger Leistung keine unterschiedliche Bedingungen im Vergleich zu anderen Vertragspartnern mehr gewähren, insbesondere im Hinblick auf die Höhe des Preises oder die Zahlungsbedingungen. Diese Bestimmung greift erheblich und unverhältnismäßig in den Markt ein. Die fehlende Definition von „wirtschaftlichem Ungleichgewicht“ sorgt zusätzlich für Rechtsunsicherheit.

Kritikpunkt 3: Ombudsstelle nur für Landwirte & Produzenten, aber nicht für Händler?

Überdies sieht der heutige Ministerratsbeschluss die Implementierung der vom Handelsverband gemeinsam mit dem Landwirtschaftsministerium initiierten und lange angekündigten weisungsfreien, unabhängigen Ombudsstelle ab März 2022 vor.

„Dies ist grundsätzlich positiv, allerdings sollte diese Anlaufstelle nicht nur allen heimischen Landwirten, Produzenten und Verarbeitern offenstehen, sondern auch dem Lebensmitteleinzelhandel und insbesondere den kleinen Nahversorgern des Landes. Wertschöpfungsketten sind keine Einbahnstraße und die Marktmacht selbstständiger Kaufleute gegenüber den großen Molkereikonzernen des Landes darf wohl als überschaubar angesehen werden“, so Handelssprecher Rainer Will abschließend.

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