Deutsche Industrie verliert den Wettbewerb in der Intralogistik
TMG-Studie „Automatisierung und Digitalisierung in der Intralogistik“ deckt erheblichen Nachholbedarf in der Intralogistik auf.
Die deutsche Industrie lässt im Bereich der Intralogistik wertvolle Wettbewerbsvorteile ungenutzt. Dies zeigt die aktuelle Studie „Automatisierung und Digitalisierung in der Intralogistik“ der Stuttgarter TMG Consultants. Die Untersuchung verdeutlicht, dass der Automatisierungsgrad vieler Unternehmen weit geringer ist als angenommen. Demnach haben 63 Prozent der befragten Unternehmen ihre Intralogistik nicht oder nur ansatzweise automatisiert. Weitere 22 Prozent verfügen immerhin über teilautomatisierte Prozesse. Hochautomatisierte Abläufe mit integrierten Systemen sind gerade einmal in elf Prozent der Unternehmen zu finden, und nur noch vier Prozent erreichen das höchste Niveau der autonomen Intralogistik.
Aber die Industrie hinkt nicht nur im Bereich der Automatisierung hinterher, sondern überschätzt vielfach auch den Reifegrad ihrer Intralogistik – auf niedrigem Niveau. Die Ergebnisse zeigen über alle Befragten hinweg, dass dieser Reifegrad eher gering ausgeprägt ist. Während vernetzte Intralogistik in vielen Unternehmen bereits vergleichsweise hohe Reifegrade aufweist, bestehen erhebliche Defizite bei der Ver- und Entladetechnik. Besonders die automatisierte Lkw-Entladung an der Rampe bleibt bislang eine ungelöste Herausforderung.
„Automatisierung ist der entscheidende Hebel, um Herausforderungen wie dem Fachkräftemangel, steigenden Kosten oder der Notwendigkeit nach schnelleren Reaktionszeiten wirkungsvoll zu begegnen. Trotzdem zeigt die Wirtschaft eine gewisse Resignation. Sie verspielt damit ihren Wettbewerbsvorsprung durch veraltete Intralogistikstrukturen“, erklärt Benjamin Hölzle, Director SCM & Logistik bei TMG Consultants. Es fehle an einer strategischen Gesamtsicht, ausreichend Projektressourcen und einem fundierten Marktüberblick.
Die Studie zeigt zudem klar, dass sich Investitionen in jedem Fall auszahlen. Unternehmen, die in Automatisierung investiert haben, berichten in 94 Prozent der Fälle von Effizienzsteigerungen, bei der Lagertechnik sind es sogar 100 Prozent. Dies unterstreicht die Notwendigkeit gezielt auf moderne Technologien zu setzen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Der innerbetriebliche Transport und die Lagertechnik bieten dabei das größte Potenzial zur Effizienzsteigerung. Insbesondere der Einsatz von autonomen Transportsystemen und vollautomatisierten Lagerlösungen führe zu signifikanten Produktivitätsgewinnen. Die größten Leistungsreserven sieht die Studie beim innerbetrieblichen Transport mit einem Potenzialwert von 4,32 auf einer Skala von 1 bis 5.
Die TMG-Studie basiert auf einer Befragung von über 100 Unternehmen aus der produzierenden Industrie und bietet detaillierte Einblicke in den Automatisierungs- und Digitalisierungsstand von sechs Bereichen der Intralogistik: Entlade- und Verladetechnik, innerbetrieblicher Transport, Lagertechnik, Kommissioniertechnik und vernetzte Intralogistik. Untersucht wurden der Reifegrad der eingesetzten Technologien und die Herausforderungen bei der Implementierung, aber auch, in welchen Bereichen Automatisierung und Digitalisierung tatsächlich einen Mehrwert bieten.
Kernaussagen der TMG-Studie:
Entladetechnik: Automatisierungseignung mit Hürden und Risiken
Die Entladetechnik für Nutzfahrzeuge steht vor besonderen Herausforderungen: Geringe Steuerungsmöglichkeiten im Inbound sowie fehlende Standardisierung von Ladungsträgern und Umverpackungen behindern die Automatisierung erheblich. Der Reifegrad ist im Vergleich zu anderen Prozessbereichen am geringsten. Die Automatisierung bleibt in diesem Bereich daher von begrenzter Bedeutung. Zudem berichten sechzehn Prozent der Unternehmen von Effizienzminderungen nach Automatisierungsprojekten – ein Warnsignal für unüberlegte Investitionen in weniger automatisierungsfähige Bereiche.
Verladetechnik: Ineffizienzen in Kauf nehmen statt automatisieren?
Obwohl im Gegensatz zur Entladetechnik die Verladetechnik von Lkw aufgrund interner Steuerbarkeit gute Automatisierungsvoraussetzungen bietet, haben nur fünf Prozent in den letzten drei Jahren in eine automatisierte Verladung investiert. Der Reifegrad stagniert, obwohl hohe Effizienzpotenziale erkennbar sind.
Innerbetrieblicher Transport: Große Potenziale, geringe Umsetzung
Der innerbetriebliche Transport mittels AGV, AMRs oder Shuttles bietet erhebliche Effizienzpotenziale, die jedoch oft ungenutzt bleiben. Obwohl am Markt zahlreiche ausgereifte Lösungen verfügbar sind, ist der Automatisierungsgrad niedrig. Ein Drittel der Unternehmen hat das Potenzial erkannt und plant, in den nächsten fünf Jahren in die Automatisierung des innerbetrieblichen Transports zu investieren.
Automatisierte Lagertechnik: Eine Erfolgsstory mit langer Tradition
Automatisierte Lagertechnik hat sich etabliert. Die Lösungen zeigen eine beachtlich hohe Marktreife und erzielen konstant hohe Effizienzgewinne. 100 Prozent der befragten Unternehmen, die in den letzten drei Jahren in „Ware-zum-Person“-Lösungen investierten, berichten von deutlichen Verbesserungen. Dieser Bereich gilt als Paradebeispiel für die gelungene Automatisierung und zeigt, wie reife Technologie zu maximalen Ergebnissen führt.
Kommissioniertechnik: Das stabile Mittelfeld der Intralogistik
Die Kommissioniertechnik bewegt sich sowohl bei der Bedeutung der Automatisierung, dem ermittelten Reifegrad als auch bei den durch Automatisierung erzielten Effizienzsteigerungen im Mittelfeld. Ob sich eine Automatisierung lohnt, hängt dabei stark von der Lagertechnik und den zugrunde liegenden Prozessen ab. Die Studie zeigt, dass jedes zweite Unternehmen auf unterstützte Kommissionierprozesse wie Pick-by-Scan setzt – ein klarer Hinweis darauf, dass pragmatische Lösungen den vollautomatischen Systemen vorgezogen werden. Mit zunehmendem Fachkräftemangel könnten in der Kommissioniertechnik weitere Automatisierungspotenziale schlummern.
Vernetzte Intralogistik: Spitzenreiter in Reifegrad und Investitionsfreude
Die vernetzte Intralogistik erreicht im Vergleich aller untersuchten Bereiche den höchsten Reifegrad und die größte Bedeutung für die Digitalisierung und Automatisierung. In den letzten drei Jahren hat jedes zweite Unternehmen in diesen Bereich investiert, weitere 30 Prozent planen dies. Der Trend wird durch den Support-Stopp für veraltete Systeme verstärkt und führt zu einem regelrechten Boom in der Modernisierung von Systemlandschaften. (RED)
Quelle: LOGISTIK express Journal Transport & Logistik LE-1/2025