Maßarbeit für deutsche Export-Pkw

Über den O’Swaldkai im Hamburger Hafen finden deutsche Export-Pkw den Weg in alle Welt. Das Erfolgsrezept ist eine ausgefeilte Logistik, verbunden mit individueller Sorgfalt für jedes Fahrzeug. Die Warnleuchte im Andreaskreuz blinkt und der Verkehr stockt, solange die rote Rangierlok ein gutes Dutzend Doppelstockwaggons über den Hamburger Terminal zieht. Ihre Fracht sind Volkswagen und Audis mit Schutzfolien, bestimmt für die verschiedensten Ziele in Übersee. Am Entladegleis wird der Autozug schon von einem halben Dutzend Fahrern und zwei Ladungskontrolleuren, den Checkern, erwartet.

Eine Rampe wird angelegt, die Sicherungskeile vor den Reifen der Fahrzeuge umgelegt und schon rollen die ersten Touareg vom Zug. Checker, aus deren Taschen die Enden von Aufkleberrollen hängen, verpassen jedem Auto eine unverwechselbare Kennung. Ihre Aufkleber zeigen neben Barcodes eine Nummer, die mit der Chassisnummer auf der Frontscheibe abglichen wird. Klamme Finger tippen die Zahlen in einen Scanner, der sie gleich ins Datennetz funkt. Erst jetzt können die Geländewagen zu einem der vielen Stellplätze fahren

Ein Jahr wie nie zuvor
Bis zu 7.000 Wagen stehen auf dem 78 Hektar großen Multifunktionsterminal der HHLA. Hier schlägt das Herz der Fahrzeuglogistik: Blitzende Luxuslimousinen der neuesten Baureihe stehen neben gewaltigen Mobilkränen und Landmaschinen, Reihen weißer Lkw neben vielen Hundert gebrauchten Fahrzeugen, auf die bereits Käufer in Westafrika warten. Im letzten Jahr wurden etwa 78.400 neue und 72.000 gebrauchte Fahrzeuge verschifft, außerdem noch rund 91.500 Standardcontainer sowie 102.000 Tonnen Schwer- und Stückgüter umgeschlagen.

"So ein Jahr hat es noch nie gegeben", resümiert Michael Sieck, Geschäftsführer der HHLA-Tochter Unikai Lagerei und Speditionsgesellschaft. Seine Firma war zum Glück auf Wachstum eingestellt, hatte rechtzeitig Stellflächen und die gesamte Verkehrsführung auf dem Terminal umgebaut. Sieck führt den Mengenzuwachs vor allem auf die seit 2007 bestehende 49-prozentige Beteiligung der italienischen Reederei Grimaldi an Unikai zurück. Sie verlagerte im Januar 2008 den Amerika-Dienst ihrer expandierenden Tochter ACL nach Hamburg und machte die Hansestadt damit zu einer zentralen europäischen Drehscheibe für rollende Ladung.

Garantiert pünktlich
Der O’Swaldkai ist in alle wichtigen Fahrtgebiete der RoRo-Schiffe (roll-on, roll-off) direkt eingebunden. 342 Schiffsabfahrten wurden hier 2008 gezählt. "Wir sind ein Hafen für alles, mit extrem kurzen Transitzeiten – das macht für die großen Autohersteller den Unterschied", erklärt Sieck. Unikai lebt von den "Port Contracts" der Automobilbranche, deren Bedürfnisse sie möglichst passgenau abdeckt. "Die liefern am liebsten chaotisch. Auf einem Autozug kommen Wagen für Nigeria, Korea, Kuwait und Brasilien. Sortiert wird erst bei uns in Hamburg." Falls gewünscht, übernimmt die Speditionsabteilung von Unikai zum Beispiel für die Liebherr Gruppe auch Ausfuhrzollabfertigung und Verschiffung.

Automobillogistik bewegt zwar große Mengen, doch jedes Fahrzeug verlangt nach präziser, individueller Behandlung. Die Autohersteller schicken das grobe Schnittmuster, die Maßarbeit kommt von Unikai. Das funktioniert nur mit leistungsfähiger, gut vernetzter Software. Michael Harth überblickt aus seinem Fenster nicht nur die meisten Stellflächen, er kann im PC auf seinem Schreibtisch auch jeden Pkw einzeln aufrufen. Bevor der Autozug auf dem Terminal entladen wird, hat Volkswagen schon die Daten ins System übermittelt. Beim Einchecken der Autos werden Ankunft und eventuelle Schäden vermerkt, später helfen die Daten, passende Staupläne für die verschiedenen Schiffstypen zu erstellen. Als Betriebsleiter muss Harth zweierlei im Blick behalten: den großen Plan, der Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit garantiert, und die vielen Änderungen, die alles wieder umwerfen. Dabei helfen ihm Schiffsplaner wie Rüdiger Bols, der das Büro mit weißen Flocken auf den Schultern betritt.

Hafeninterne Drehscheibe für Autoexport
Draußen schneit es mittlerweile, es gibt Verspätungen, und Unikai muss mal wieder umdisponieren. "Schifffahrt wird auf See gemacht", bemerkt Harth trocken. "Ob ein Schiff kommt, weiß man erst, wenn es da ist." Die beiden müssen die Aufgaben von bis zu 200 Mitarbeitern koordinieren. Zuerst gehen sie die allgemeinen Vorgaben aus Antwerpen durch, die Grimaldis zentrale Stauplanung für das einkommende Schiff liefert. Autos müssen in der umgekehrten Reihenfolge auf das Schiff, also für den letzten Hafen zuerst, und gleiche Typen sollen möglichst nebeneinanderstehen, um Platz zu sparen. Die Autotransporter, für die gerade geplant wird, fahren leider nicht alle Destinationen an, in denen man auf Volkswagen wartet. Das macht den Unikai-Job noch komplizierter. Einige Touareg sind für Xingang in China bestimmt. Sie warten auf einem Containerstellplatz an der Kaimauer, um nacheinander in einer langen Reihe von Stahlboxen zu verschwinden. Die Touareg werden nur wenige Tage später vom HHLA Container Terminal Burchardkai mit der "CMA CGM Ivanhoe" ihre Reise antreten.

Der O’Swaldkai ist auch hafeninterne Drehscheibe für den Autoexport. "Umfuhren" von Containern innerhalb des Hamburger Hafens erledigen normalerweise Lkw, was zu Spitzenzeiten Staus verursacht. Deshalb haben Unikai-Mitarbeiter eine umweltschonende und kostengünstige Lösung erdacht. Besondere Binnenschiffe werden mit etwa 200 Standardcontainern (TEU) beladen und machen so jeweils mehr als 100 Lkw-Fahrten überflüssig. Wöchentlich kommen bis zu 1.600 TEU zusammen, und da Binnenschiffe 70 Prozent weniger Kohlendioxid als Lkw ausstoßen, werden jährlich etwa 330 Tonnen Kohlendioxid-Emission vermieden.

Mit Binnenschiffen hat Rüdiger Bols heute aber nicht zu tun. Vor ihm tauchen im Schneetreiben die massiven Umrisse der weiß-gelben "Grande Brasile" auf. Am Heck des RoRo-Schiffes gähnt eine riesige schwarze Öffnung, über deren Rampe alles ins Innere verladen wird. Auf Deck 4 winkt ein Einweiser mit dem Stauplan in der Hand Geländewagen heran. Vorsichtig zirkeln die Fahrer in die engen Stellplätze hinein. Sie müssen von der S-Klasse bis zum Mähdrescher alles fahren können, was sich auf Rädern bewegt. "Diese Edelkarossen laschen wir mit besonderen Spanngurten, damit die Alufelgen nicht beschädigt werden", erklärt Rüdiger Bols. "Bei dem einen darf der Schlüssel nicht stecken bleiben, die anderen dürfen nicht quer zum Schiff geparkt werden!" Fahrzeuglogistik ist eben arbeitsintensiv.

Die Checker prüfen noch einmal die Aufkleber der dicht an dicht stehenden Tiguan und Touareg. Die Anzeige ihres Barcode-Scanners wechselt von Status 45 (verladebereit) zu 50 (an Bord). An den Frontscheiben ist jetzt der Zielhafen zu erkennen: Paranagua, Brasilien.

Quelle: MyLogistics

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