Wo bleibt der Silberstreif?
Wirtschaftswachstumsprognosen sinken, dafür steigen Insolvenzen und Arbeitslosenzahlen. Die Babyboomergeneration steht vor der Pension, aber weit und breit sind keine Nachfolger in Sicht. Angebot und Nachfrage klaffen auseinander, ebenso wie die Kluft zwischen Arm und Reich. Was können wir tun?
Ende 2023 prophezeite das WIFO, das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung, einen Anstieg des realen BIPs um 1,2 Prozent und eine Konjunkturerholung für 2024. Ende Juni wurde diese Erwartung revidiert und auf Stagnation (Nullsummenspiel) zurückgeschraubt. Nur drei Monate später liegt die Prognose bei einem Minus von 0,6 Prozent. Ups… werden die Zahlen eigentlich erforscht oder erwürfelt? Wie dem auch sei, das Ergebnis ist dasselbe – Österreich steckt in der Rezession fest, und wir sind nicht die einzigen, wenn man sich in Europa so umsieht. Aber hey, für 2025 geht das WIFO wieder von 1 Prozent Wachstum aus – genau wie auch die Österreichische Nationalbank …
Zur Verdeutlichung: das ist das achte Quartal in Folge, in dem Österreichs Wirtschaft sich mit einer Stagnation bzw. einer Schrumpfung konfrontiert sieht, das ist die WIFO-Chef Gabriel Felbermayr zufolge längste rezessive Phase seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Höchststand an Insolvenzen Österreich und Deutschland sind eng miteinander verbunden – schon im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation waren die österreichischen Habsburger für die deutschen Kaiser entscheidend. Heute ist Deutschland Österreichs mit Abstand wichtigster Wirtschaftspartner – und auch umgekehrt gehört Österreich mit einem Handelsvolumen von über 100 Milliarden Euro pro Jahr zu den wichtigsten Handelspartnern der nördlichen Nachbarn. Gegenseitige Niederlassungen und Produktionsstätten sind keine Seltenheit, viele Unternehmen sind eng miteinander verwoben. Das alles stellt kein Problem dar – solang alles gut läuft. Fängt aber ein Unternehmen, eine Branche oder gar ein ganzer Wirtschaftssektor an zu straucheln, wirkt sich das auf beiden Seiten der Grenze und darüber hinaus negativ aus. Ein deutliches Indiz für die aktuelle Entwicklung erhält man durch einen Blick auf die Insolvenzstatistik.
Aktuelle Zahlen zeigen, dass im September die Zahl der Insolvenzen in Deutschland um knapp 14 Prozent gestiegen ist, für 2024 werden über 20.000 Firmenpleiten erwartet. In Österreich haben bis Ende September knapp 4.900 Unternehmen zugesperrt, bis Ende des Jahres rechnet Creditreform mit rund 7.000 Insolvenzen. Dahinter stecken tausende tragische Schicksale – Mitarbeiter, Unternehmer, aber auch Gläubiger, die Großteils um ihr Geld umfallen.
Laut Kreditschutzverband KSV1870 beträgt die Summe aller Verbindlichkeiten der Unglücksvögel des Jahres 14,8 Milliarden Euro das ist ein Plus von 683 Prozent im Vergleich zu 2023! Doch was sind die Gründe?
Das Thema Corona ist gegessen, das interessiert keinen mehr – selbst wenn die Infektionszahlen wieder steigen. Auch die Inflation geht glücklicherweise wieder zurück. Dafür gibt es vor der anhaltenden Wirtschaftsflaute, der Zinspolitik und dem Fachkräftemangel kein sicheres Versteck. Bürokratische Hürden sind ein weiterer Grund, warum viele dann einfach das Handtuch werfen. Insbesondere in den Bereichen Handel, Baugewerbe und Gastronomie gibt es besonders viele Ausfälle: 853 Handelsunternehmen, 814 Unternehmen aus dem Baugewerbe und 596 Gastronomiebetriebe gaben 2024 bereits w.o. – das entspricht zusammen fast der Hälfte aller nationalen Firmenpleiten. Die Stimmung unter den Unternehmern ist laut Creditreform-Umfrage pessimistisch, aber zu diesem Ergebnis wäre man wohl auch ohne Umfrage gekommen. Rückläufige Auftragseingänge, geringere Investitionen, sinkende Erträge, hohe Betriebskosten – niemand macht wohl angesichts der aktuellen Wirtschaftslage Luftsprünge.
Arbeitskräftemangel trotz Überangebot
Es klingt paradox: Firmen sperren zu, Arbeitslosenzahlen steigen und dennoch klagen nach wie vor viele Unternehmen darüber, kein geeignetes Personal zu finden. Doch lässt sich das wirklich nur mit dem „zu hohen“ Arbeitslosengeld erklären, weswegen Menschen lieber offiziell arbeitslos bleiben und sich schwarz etwas dazuverdienen? Für einen gewissen Teil trifft das sicher zu – der Rest liegt an der Qualifikation. Egal, wie sehr sich das AMS mit Kursbeglückungen für Beihilfenempfänger bemüht, einen Regalbetreuer kann man nicht als IT-Fachkraft vermitteln. Jahrelange Erfahrung kann nicht durch Umschulungs-Crashkurse kompensiert werden, das wissen auch die potentiellen Arbeitgeber.
Ein weiteres Phänomen: trotz steigender Bevölkerungszahlen ist das Arbeitsvolumen in den letzten Jahren gesunken, ein Faktor, der die Inflation befeuert und sich durchaus negativ auswirkt, wie Felbermayr im Rahmen des Bank Austria Forums im September betonte: „Wenn immer mehr Menschen im Land sind, wir aber immer weniger arbeiten trotz der zusätzlichen Personen, die da sind, dann ist unser Wohlstand ganz offensichtlich in Gefahr.“
Es gibt hier ein strukturelles Problem und eine eklatante Diskrepanz zwischen Teilzeit- und Vollzeitstellen und Teilzeit- und Vollzeitarbeitswilligen/fähigen. Die Schaffung von mehr Ganztags-Kinderbetreuungsplätzen ist mit Sicherheit ein Schritt in die richtige Richtung, um Vollzeitarbeitskräfte zu gewinnen, jedoch wird das eher nicht die Lösung für den Fahrermangel in der Transportbranche bedeuten (eine Entschuldigung an dieser Stelle an alle „Trucker-Babes“ © Kabel 1, aber der Frauenanteil unter LKW-Fahrern ist zwar kontinuierlich steigend, aber dennoch vernachlässigbar). Ob die Idee der Steuerprämie für Vollzeitkräfte sich durchsetzt und den gewünschten Erfolg bringt? Das mag sicher den einen oder anderen zu mehr Arbeitsbereitschaft bewegen, löst aber auch nicht das Qualifikationsproblem.
Österreich hat eines der teuersten Schulsysteme, aber der Output ist erschreckend. Dabei ist es nicht nur der Mangel an Deutschkenntnissen, der stark zunimmt, sondern auch Basis-Life-Skills. In einem aktuellen Zeitungsreport beklagte sich ein Lehrer, dass seine Schüler (14-15 Jahre alt) eine analoge Uhr nicht lesen können. Von komplexen Texten und deren Verständnis fangen wir besser gar nicht erst an.
Im Bildungssystem hat eine bedenkliche Verschiebung stattgefunden: früher hatten Schüler Respekt vor den Lehrern und die Eltern bei Beschwerden und Problemen den Lehrern prinzipiell Recht gegeben. Heute kommen die Eltern gar nicht erst zu Sprechtagen und wenn es Probleme gibt, dann ist der Lehrer oder die Schule Schuld und nicht bemüht genug. Respekt gibt es kaum noch, dementsprechend ausgebrannt ist der Lehrkörper. Hier der nächste Mangel: Lehrer! Aber kein Wunder, wer will sich das antun?
Ein weiteres Indiz für einen kommenden Umbruch ist die Wachablöse in heimischen Betrieben, wo die nächste Generation keine Lust oder schlicht nicht die Fähigkeit und das Kapital hat, den elterlichen Betrieb weiterzuführen. Das betrifft klassisch den Bereich Landwirtschaft, aber nicht ausschließlich.
Laut Statistik der WKO ist in den Bereichen Immobilien sowie öffentliche Verwaltung ein Viertel der unselbständig Beschäftigten über 55 Jahre alt – bei „Verkehr und Lagerei“ ist es mit 19,8% fast ein Fünftel. Das zu kompensieren ist für die geburtenschwachen Jahrgänge unmöglich – umso wichtiger ist es, Anreize zu setzen, um Mitarbeiter länger im Beruf zu halten, etwa durch steuerfreie Zuverdienstmöglichkeiten nach Pensionsantritt. Lösungsideen gibt es bereits – jetzt fehlt nur noch der politische Wille. Wir werden sehen, in welche Richtung es geht, wenn sich eine Regierung gefunden hat. Kann ja nicht mehr lange dauern, oder? (RED)
Quelle: LOGISTIK express Journal Intralogistik & E-Commerce 4/2024