Online-Händler sehen Nutzen des EU-E-Commerce-Pakets zwiegespalten
Am 1. Juli 2021 ist die bisher größte Mehrwertsteuerreform für EU-weiten Online-Handel in Kraft getreten. ibi research an der Universität Regensburg hat zusammen mit dem logistic-natives e. V. in einer Kurzstudie analysiert, wie deutsche Online-Händler mit den neuen Verordnungen zurechtkommen.
Gastbeitrag: logistic-natives e.V.
Mit dem EU-E-Commerce-Paket sollen Betrug verhindert und faire Wettbewerbsbedingungen für Online-Handelsunternehmen in der europäischen Union geschaffen werden. Dafür wurden der One-Stop-Shop (OSS) zur zentralen Abwicklung aller umsatzsteuerlichen Melde- und Zahlungsverpflichtungen, die sich aus dem Warenhandel mit Konsumenten in den EU-27 ergeben, in einer einzigen steuerlichen Erklärung sowie der Import-One-Stop-Shop (IOSS), eine neue Erklärung zur Meldung der Mehrwertsteuer bei Lieferungen in oder aus Drittstaaten, entwickelt. Fast einem Drittel der befragten Online-Händler:innen sind die Bestimmungen der EU-weiten Mehrwertsteuerreform bekannt. Die vereinfachte Umsatzsteuererklärung mit OSS nutzen bereits vier von zehn Unternehmen. Erst eines von zehn wickelt hingegen Umsätze über IOSS ab.
Logistik express: Was sind die Erkenntnisse aus der Studie?
Florian Seikel: Es ergibt sich ein gespaltenes Meinungsbild: Während die Mehrheit der Befragten weder Vor- noch Nachteile sieht, bemängeln andere einerseits die Komplexität und den Verwaltungsaufwand, loben aber andererseits die vereinfachte Compliance. Das EU-E-Commerce-Paket sollte die Mehrwertsteuerabwicklung im Online-Handel vereinfachten und auf internationaler Ebene für Fairness sorgen. Allerdings müssen sich viele Händlerinnen und Händler aktuell mit Problemen bei der Umsetzung herumschlagen.
Es gab knapp ein Viertel der Befragten an, dass es bei der Umstellung auf OSS oder IOSS zu technischen Schwierigkeiten, beispielsweise aufgrund fehlender Schnittstellen, kam. Auch der allgemeine administrative Aufwand wird von mehreren Händler:innen kritisiert. Das ist aus meiner Sicht ein Wert, der zeigt, dass das EU-Ecommerce Paket in der Breite nicht nur positiv gesehen wird. Ein Fünftel der Befragten hat ausgesagt, dass die Kosten bei den Logistikdienstleistern im Zuge der Einführung des Ecommerce-Pakets gestiegen sind. Dies müssen wir sehr kritisch und genau beobachten.
Logistik express: Wie sehen die ersten Rückschlüsse auf die Einführung des EU-E-Commerce-Pakets aus?
Florian Seikel: Die Einführung des EU-Ecommerce Pakets ist bei den Händlern noch nicht komplett angekommen. Auch Bundes- & Landesminiterien haben die Umsetzungszeit nicht optimal genutzt. Hier gab es- auch aufgrund der Pandemie- andere Schwerpunkte. Leider hat auch der Zoll seine Systeme erst mit Verspätung umstellen können.
Daher ist es wichtig, praktische Lösungen anzubieten. Die Gefahr besteht, dass insbesondere KMU’s im grenzüberschreitenden Handel in eine größere Abhängigkeit von großen, international marktbeherrschenden Unternhemen & Plattformen zu geraten. Ziel muss es sein, dem Händler die Souveränität seiner Daten zu gewährleisten und Alternativen zu den Angeboten der großen internationalen Postdienstleistern und Plattformen im grenzüberschreitenden Handel zu bieten. Der logistic-natives e.V. arbeitet beispielsweise genau an solchen alternativen Dienstleistungen.
Ziel und Zweck des EU-Ecommerce-Pakets ist u.a. auch die Erleichterung des grenzüberschreitenden Handels für jeden Äändler- egal ob innerhalb der EU oder dem Handle mit Drittstaaten. Wir sehen, dass das EU-Ecommerce Paket momentan noch Händler, insbesondere kleine & mittelständische Händler. Verwirrt und zum Teil abschreckt. Dies ist das Gegenteil von dem, was erreicht werden soll. Hier muss durch gezielten Informationsaustausch gegengesteuert werden.
Die Wirtschaft, die Wissenschaft, insbesondere Verbände und Institute, kommen ihrer Aufgabe prinzipiell nach. Wir würden uns allerdings diesbezüglich wünschen, dass wir von der Politik und dem Gesetzgeber stärkere Unterstützung erhalten und praxisorientierte Projekte gefördert werden.
Logistik express: Was hat Sie bei der Untersuchung am meisten überrascht?
Florian Seikel: Leider zeigt die Studie, dass es noch erhebliche Mängel in der Digitalisierung der handelsspezifischen Abläufe gibt. Aus unserer Sicht wird zukünftig kein Händler lukrativen grenzüberschreitenden Handel betreiben können, ohne seine Prozesse vollständig digitalisiert zu haben. Dies gilt für alle Bereiche. Tut er dies nicht, wird er künftig abgehängt und kaum noch wettbewerbsfähig sein können. Die großen, internationalen Unternehmen haben dies bereits erkannt und haben die Ressourcen, sich den Gegebenheiten anzupassen und daraus sogar einen Wettbewerbsvorteil zu generieren. Die Studie zeigt, dass die kleinen und mittelständischen Händler dies leider noch nicht vollständig erkannt haben. Die Folgen sind momentan nicht jedem bewusst. Dies gefährdet die Vielfalt des Marktes. Insbesondere in der DACH-Region gibt es einen breiten Mittelstand bei Händlern, der auch das Rückrat der Branche darstellt.
Logistik express: Gibt es aus Ihrer Sicht Anpassungsbedarf?
Florian Seikel: Selbstverständlich muss sich auch das EU-Ecommerce Paket regelmäßig einer Evaluierung unterziehen. Neben unserer nationalen Studie hat unser Europäischer Dachverband Ecommerce Europe mit Hilfe der nationalen Verbände eine europaweite Umfrage gestartet. Die Ergebnisse werden direkt der Europäischen Kommission zur Verfügung gestellt., um eventuelle Schwachstellen und praxisferne Vorgaben zu ändern. Aus unserer Sicht sind Gesetze prinzipiell nur so gut, wie ihr pragmatischer Ansatz. Eine Praxistauglichkeit für alle Betroffenen ist zwingende Voraussetzung einer erfolgreichen Umsetzung. Dies ist allgemein auch eines der Ziele, die das EU-Ecommerce Paket hat.
Für mich ist entscheidend, dass hier an einem Strang gezogen wird. Nur gemeinsam wird Gutes für den Mark erreicht. Daher auch unser breites Netzwerk. Wir stimmen uns international und europäisch mit unserem Dachverband ab, arbeiten national mit unseren verlässlichen Partnern wie dem ibi research Institut zusammen und sind in Österreich in sehr enger Absprache mit dem Handelsverband.at,
der das Thema vorbildlich im Österreichischen Markt transformiert. (RED)
Quelle: LOGISTIK express Journal 1/2022