Die neue Seidenstraße – Chance oder Risiko?

In Zeiten des e-Commerce-Booms mit ungeahnten Wachstumsraten für Online-Giganten wie Amazon und Alibaba China investiert Chinas Präsident Xi Jinping 100 Milliarden US-Dollar in sein Projekt der neuen Seidenstraße. Titel: „Ein Gürtel, eine Straße“ Warum die neue Seidenstraße einen unmittelbaren Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit von Europa hat, erklärt Ing. Mag. Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbandes.

Will, zusätzlich auch Director of European eCommerce and Omni-Channel Trade Association (Emota), beginnt seine Ausführungen mit nüchternen Fakten. So sind die Österreichumsätze von Amazon in den letzten drei Jahren um 55 Prozent auf 595 Mio. Euro im Jahr 2016 angestiegen. Die Wachstumsrate der Top 10 Handelsunternehmen lag bei stolzen 40 Prozent, wohingegen der Gesamtmarkt im Onlinehandel “nur“ um 7 Prozent zulegen konnte. Ein eindeutiger Hinweis auf eine zunehmend hohe Konzentration im e-Commerce.

„Darin enthalten sind auch geschätzte 60 Mio. Euro an Lizenzerlösen durch Vermittlung. Bei durchschnittlich rund 10 Prozent des Umsatzes bedeutet dies, dass bereits rund 1,2 Mrd. Euro über die Amazon Plattformen laufen. Die gesamten Top-250 Onlineshops erzielten 2,3 Mrd. Euro Umsatz im Jahr 2016. Ein Großteil davon fließt ohne Wertschöpfung und positive Arbeitsplatzeffekte ins Ausland ab. Wir gehen, bezogen auf die über 70 Mrd. an Handelsumsätzen im gesamten Einzelhandel, von einem Kaufkraftabfluss von über 4 Mrd. Euro aus.“

Das sind überaus alarmierende Zahlen, die nicht nur der Politik zu denken geben sollten. Denn die großen e-Commerce-Trends 2017 betreffen Marktplätze, Internationalisierung sowie Vertikalisierung und wirken sich auch auf stationäre Händler und deren Flächen aus: Bereits rund zwei Drittel aller stationären Umsätze sind in der einen oder anderen Weise digital beeinflusst – wenn ein Unternehmersterben verhindert werden soll, besteht akuter Handlungsbedarf.

In 18 Tagen um die Welt
Plattformen wie Amazon stellen für viele Händler eine verlockende Möglichkeit zur Absatzsteigerung dar. Das Problem: „Plattformen gehen oftmals schnell den direkten Weg zum Produzenten und lassen den Handel außen vor, um billigere Angebote zu schaffen – die Wertschöpfungsstufe fällt weg“, warnt Will. Es gilt, e-Commerce als Vertriebsweg mit wertvoller Datengewinnung zu sehen, statt als Konkurrent – und diesen mit entsprechender Vorsicht zu nutzen. Trotzdem sieht die mittelfristige Prognose für Technikhändler in Geiz-ist-geil-Zeiten alles andere als rosig aus: bis 2020 sollen demnach zwei Drittel aller Technikhändler vom Markt verschwinden. Was das mit der Seidenstraße zu tun hat? Viel. Durch die Seidenstraße wird die Möglichkeit, billige chinesische Ware zeitnah nach Europa zu bringen, wesentlich attraktiver.

Die Strecke der neuen Seidenstraße führt voraussichtlich vom chinesischen Chongquing über den Alatau-Pass und Russland bis nach Duisburg, 20 Mal täglich verkehren Frachtzüge mit 41 Waggons. Die Fracht: Elektronik, Textilien und Markenware nach Europa, Milchpulver und fertig montierte PKW retour. Will: „Über die Strecke versorgt China Europa, die Türkei, Russland und Afghanistan. Bislang hat Peking 64 Staaten, in der Initiative „One Belt, One Road“ vereint.“ Die Bahnverbindung bietet einen Mittelweg zwischen der langsamen, aber günstigen Schiffsfracht und der schnellen, aber teuren Luftfracht. In 10 bis 18 Tagen hat die Ware ihr Ziel erreicht – sobald die unterschiedlichen Schienensysteme besser angeglichen werden, wird diese Laufzeit noch verkürzt. Das bedeutet, künftig werden chinesische Pakete nicht mehr einen Monat unterwegs sein – zusätzliche Konkurrenz für den heimischen Handel.

In ihrer bereits berüchtigten weltweiten Investitionslaune haben chinesische Unternehmen den griechischen Hafen Piräus gekauft, in der Ostsee ist ein Tiefwasserhafen für Containerfrachter geplant. Riesige Industrieareale entlang der Seidenstraße sind bereits im Entstehen. „Man will die gesamte Wertschöpfungskette selbst abbilden, denkt und setzt in anderen Dimensionen um.“, erklärt Will.

E-Commerce als Weltwirtschaftstreiber
„Aufgrund dieser Entwicklungen sehen wir den e-Commerce als den Treiber für die Weltwirtschaft“, konstatiert der Geschäftsführer des Handelsverbandes. „Es ist wichtig, heimische Betriebe und kleinere lokale Handelsunternehmen zu unterstützen. Deshalb haben wir die umfassende Initiative „RETAIL 24/7“ (www.retail247.at) gestartet, mit der wir auch kleineren Händlern die Möglichkeit geben, informiert und abgesichert ihren Platz in der neuen Handelswelt zu finden.“

Neue EU-Regulierungen aus der Single Digital Markt-Initiative (vgl. Geoblocking) befeuern die Entwicklung zusätzlich. Der Handelsverband geht daher davon aus, dass Händler mit wenigen Marken im Sortiment langfristig nicht oder nur in Nischen überleben werden. „Einzelne Markenanbieter hingegen können mit innovativen Shops und gut positionierten Marken erfolgreich sein, da der klassische Handel (leider) umgangen und Kosteneinsparungen durch das Aussparen dieser Wertschöpfungsstufe immer stärker Realität wird, um den Konsumenten durch günstigste Preise bei Laune halten zu können“, ergänzt Will.

Vorbild Alibaba
Die Onlineplattform Alibaba ist in Asien quasi konkurrenzlos. Dabei sind erst 40 Prozent der chinesischen Bevölkerung online. Das Potential beträgt 1,3 Mrd. Menschen. Alibaba hat einen „mobile“-Anteil je nach Region zwischen 60-80 Prozent, was dieses Thema auch für heimische Händler ins Zentrum aller Innovationsinvestitionen rücken sollte. Der Vorteil des asiatischen Giganten ist die enge Beziehung zu regionalen Lieferanten, die Logistik, und das eigene Ökosystem, das stetig erweitert wird (Marktplatz, Payment, Online-Kaufhaus, Retail-Beteiligungen: all in one). Alibaba hat für 2,6 Mrd. US-Dollar die chinesische Warenhauskette „Intime“ übernommen. 29 Warenhäuser und 17 Shoppingmalls: für Showrooms, Events und vor allem für Logistik, um nahe beim Kunden zu sein. Schon jetzt werden rund 5,9 Mio. Pakete täglich aus China ins Ausland geschickt.

Ende der Mehrwertsteuerbefreiung?
Angesichts dieser Entwicklungen ist es von fundamentaler Wichtigkeit, die Mehrwertsteuerbefreiung für Postlieferungen aus Drittländern unter 22 Euro aufzuheben. Der Handelsverband hat darauf schon lange auf nationaler als auch europäischer Ebene hingewiesen. Nun liegt endlich ein EU Kommissionsvorschlag zur Mehrwertsteuerrichtlinie vor. Die Steuerbefreiung für die Einfuhr von Kleinsendungen aus Drittstaaten unter 22 Euro Warenwert soll demnach mit 1. Jänner 2021 abgeschafft werden. Dies bedeutet einen Anstieg der Mehrwertsteuereinnahmen der Mitgliedstaaten von 7 Mrd. EUR jährlich und verbesserte Wettbewerbsbedingungen für die gegenwärtig benachteiligten Unternehmen aus der EU. Will dazu: „Im Sinne eines funktionierenden europäischen Binnenmarkts wäre es sinnvoll, dass die geplante Geoblocking Verordnung frühestens mit der Mehrwertsteuerrichtlinie in Kraft tritt.“ Ein weiterer Dorn im Auge des Handelsverbandes ist die Einkommenssteuerverschonung ausländischer Online-Player, die ihre Betriebsstätten als Hilfsstätten deklarieren und so einen unfairen Wettbewerbsvorteil generieren.

Rahmenbedingungen verbessern!
In Österreich stehen 580.000 Arbeitsplätze im Handel auf dem Spiel. „Entwicklungen in China können wir nicht beeinflussen, aber wir können österreichische Unternehmen wettbewerbsfähiger machen“, gibt sich der Geschäftsführer des Handelsverbandes kämpferisch. „Eine Lohnnebenkostenentlastung der Arbeitgeber, die mit dem im Arbeitspaket der Bundesregierung enthaltenen Beschäftigungsbonus erreicht werden soll, ist positiv und längst überfällig. Der Handelsverband macht sich schon lange dafür stark, um die Jobs im Handel zu halten und neue zu schaffen. Der Beschäftigungsbonus kann dabei helfen.  Jedoch hoffe ich, dass die praktische Umsetzung nicht noch mehr Bürokratie in der Lohnverrechnung erzeugt. Die Investitionsanreize müssen auch mitarbeiterintensive Branchen wie den Handel berücksichtigen, um relevante Beschäftigungseffekte zu erzielen. Dass das Thema Arbeitszeitflexibilisierung wieder aufgeschoben und Verantwortung abgeschoben wurde, ist aus der Sicht des Handels enttäuschend. Denn die aktuellen Arbeitszeitregelungen sind nicht mehr zeitgemäß und sorgen für enorme Kosten und bürokratischen Aufwand.“

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