Ein neues Veranstaltungsformat für die Logistik im E-Commerce
Initiiert vom Institut des Interaktiven Handels GmbH in Berlin (IDIH) und medial begleitet durch den LOGISTIK express startet am 10. November 2016 in Wien ein völlig neues Veranstaltungsformat, das die Logistikprozesse der E-Commerce-Branche unter die Lupe nimmt. Im Interview gibt der E-Commerce-Experte und Co-Organisator der Veranstaltung, Bernd Kratz, einen Überblick über Themen, die den Distanzhandel in Österreich derzeit bewegen.
Autorin: Karin Walter
LOGISTIK express: Wenn man sich umsieht, gewinnt man schnell den Eindruck, dass der österreichische Veranstaltungs-, Ausbildungs- und Seminarmarkt regelrecht mit Events zum Thema E-Commerce überflutet wird. Warum halten Sie es trotzdem für angebracht, ein neues Veranstaltungsformat für die österreichische E-Commerce- und Multichannel-Branche zu launchen?
Bernd Kratz: In Österreich ist wirklich schon ein sehr großes Veranstaltungsangebot für die E-Commerce-Branche vorhanden. Die meisten der Events und Ausbildungsangebote konzentrieren sich allerdings auf das „Order-Getting“ – also die Frage, wie es möglich ist, über die diversen Vertriebskanäle hinweg die höchstmöglichen Umsätze zu generieren bzw. eine möglichst hohe
Conversion Rate in den Shops zu erzielen. Der Ansatz des „Order-Processing“, also der effizienten Auftragsabwicklung, kommt in der Betrachtung sämtlicher Veranstaltungsanbieter grundsätzlich viel zu kurz – und das, obwohl die Themen der physischen Auftragsabwicklung für die erfolgreiche Geschäftsentwicklung der Player der Branche aus meiner Sicht von aller höchster Wichtigkeit ist.
LOGISTIK express: Denken Sie, hier wird nicht nur von den Veranstaltungsanbietern, sondern wirklich auch von Seiten der österreichischen On- und Offline-Händler bisweilen noch zu kurz gedacht?
Bernd Kratz: Ein Geschäftspartner von mir stellte vor einiger Zeit die These in den Raum, dass der österreichische E-Commerce-Markt den Entwicklungen des deutschen Marktes um etwa drei Jahre hinterherhinkt. Leider hat es bis heute noch niemand geschafft, den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung mit handfesten Thesen zu belegen. Fakt ist, dass die Anforderungen an die logistische Abwicklung im Distanzhandel permanent steigen – Amazon & Co setzen hier Meilensteine. Das fängt bei der Lagerlogistik an und zieht sich hinein bis in die Zustell-Prozesse. Meine Beobachtung ist, dass die Auftragsabwicklung von vielen Anbietern noch immer viel zu sehr als Nebensächlichkeit angesehen wird. Dabei schaffen die logistischen Prozesse doch die Grundlage für florierende Auftragseingänge in der Zukunft.
LOGISTIK express: Woran machen Sie es denn konkret fest, dass E-Commerce-Logistik in Österreich noch nicht so gut aufgestellt ist?
Bernd Kratz: Zunächst muss man ganz nüchtern feststellen: Prime-Services, wie sie in anderen Ländern oftmals ohne Mehrkosten für den Kunden längst üblich sind und sich immer größer
werdender Nachfrage erfreuen, werden in Österreich von einzelnen Händlern bis dato entweder gar nicht, nur mit einer sehr überschaubaren Flächendeckung angeboten oder zu deut-
lichen Mehrkosten für die Paketzustellung am gleichen oder am Folgetag. Hier hätte Österreich den infrastrukturellen Vorteil durch die Konzentration der E-Commerce-Umsätze auf wenige Regionen.
LOGISTIK express: Sie meinen, dass es für einen KEP-Dienstleister eigentlich ein Leichtes sein müsste, in einem Land, das in der Fläche nur etwas größer als Bayern ist, flächendeckend Next-Day-Belieferungsservices anzubieten?
Bernd Kratz: Next-Day muss Standard werden. Ich möchte aber sogar noch etwas provozieren. Wenn Sie berücksichtigen, dass sich allein auf Wien mit seinen über 1,8 Millionen Einwohnern etwa 50 % der Online-Nachfrage konzentriert und mit den Städten Graz, Linz, Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt schon etwa 90 % der Nachfrage abgedeckt sind, dann bietet sich hier durch die räumliche Konzentration sogar die Möglichkeit einer kostengünstigen „Same-Day-Delivery“ an. In den USA, in UK aber auch in Deutschland ist Next-Day ein Standard, aber trotz der infrastrukturellen Dezentralisierung der Kunden erkennen wir hier eine deutlich zunehmende Kundennachfrage nach taggleichen Zustellungsservices, die es logistisch zu befriedigen gilt.
LOGISTIK express: Nun zielt die Veranstaltung am 10. November nicht nur auf die logistischen Optimierungspotenziale im Zustellnetz der Paket- und Kurierdienste ab, sondern hauptsächlich auf die Interessen der Händler auf dem Markt. Warum sollten sich E-Commerce- und Multichannel-Anbieter auch mit Themen auseinandersetzen, für die streng genommen doch die Dienstleister verantwortlich sind?
Bernd Kratz: Weil sie in all ihrem Handeln die logistischen Voraussetzungen für die schnelle und reibungslose Auftragsabwicklung schaffen müssen – zu geringstmöglichen Kosten. Ein Online-Versender wird sich auf Dauer nur dann erfolgreich auf dem Markt bewegen können, wenn er die Optimierung seiner Intralogistiksysteme beherrscht, auch wenn die Peaks wie etwa im Weihnachtsgeschäft deutlich nach oben ausschlagen.
Zu einem erfolgreichen Online-Angebot gehört heutzutage aber auch ein ausgereiftes und flexibles Zustellsystem dazu – mit Zeitfenster-Zustellung, der Zustellung an eine gewünschte Abholadresse oder für ganz eilige Warensendungen sogar die Zustellung binnen 90 Minuten nach der Bestellung. Last but not least müssen von den Playern auf dem E-Commerce-Markt
aber auch die Voraussetzungen für eine schnelle Reverse-Logistik geschaffen werden. Kunden bevorzugen es heutzutage immer mehr, Retouren auch in der Handelsfiliale abgeben zu können. Oder an ihrer Haustüre selbst – um nach Feierabend nicht mehr extra das Haus verlassen zu müssen. Für all diese Dinge braucht es logistische Konzepte und Systeme, die nicht zuletzt auch die kostengünstige und dynamische Retourenbearbeitung beinhalten.
LOGISTIK express: Wenn man sich die Marktentwicklung in Österreich genauer ansieht, kann man feststellen, dass die Multichannel-Angebote des Handels im Aufstreben sind. Sind deren Aufgabenstellungen denn deckungsgleich mit den Herausforderungen der reinen Internet-Pure-Player?
Bernd Kratz: Teilweise sind die Herausforderungen wirklich deckungsgleich. Zum Teil sind Multi- oder Omnichannel-Händler jedoch noch größeren Herausforderungen ausgesetzt. Händler, die über ein Filialnetz verfügen, müssen zum Beispiel seit Jahren deutlich anziehende Mietpreise hinnehmen. Parallel dazu erkennen diverse Studien, dass der Flächenumsatz, der Umsatz pro Quadratmeter Ladenfläche, in den letzten Jahren kontinuierlich sinkt. Für den Multichannel-Markt braucht es daher neue, noch umfassendere Urban-Logistics-Ansätze, die nicht nur den Versand aus Filialen oder die Retourenrückgabe in Filialketten beleuchten, sondern auch die Möglichkeiten der Bestandsreduzierung vorgehaltener Artikel durch taggleiche Nachschubversorgung.
LOGISTIK express: Und wann wird es ein solches Urban-Logistics-Konzept geben?
Bernd Kratz: Wir arbeiten daran und führen mit allen Beteiligten entlang der Logistikkette des E-Commerce und Multichannel-Handels intensive Gespräche.
Erste Ergebnisse werden am Event in Wien präsentiert. [WAL]