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Studie: Nearshoring mit Potenzial am Westbalkan

Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien dürften bei der Rückverlagerung von Produktionen aus Fernost nach der Pandemie profitieren.

Fehlende Teile in der Autoindustrie oder zu wenig Impfstoff – nur zwei Beispiele, die in Zeiten von Corona die Verwundbarkeit globaler Lieferketten vor Augen führen. „Angesichts protektionistischer Tendenzen im Welthandel setzte bereits im vergangenen Jahrzehnt eine Rückverlagerung von Produktionen aus Asien in die Nähe der alten Industrieländer ein. Dieses ‚Nearshoring‘ wird sich in Europa nach der Pandemie signifikant verstärken“, meint Branimir Jovanovic, Ökonom am wiiw und Co-Autor einer neuen Studie zum Thema.

Gemeinsam mit Kollege Mahdi Ghodsi und anderen AutorInnen der Wirtschafts- und Handelskammern der Westbalkanstaaten hat sich Jovanovic angesehen, was das für Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien bedeutet. Sein klares Fazit: „Die Volkswirtschaften am Westbalkan könnten vom Nearshoring eindeutig profitieren, sofern sie ihre Hausaufgaben machen.“ Darauf deuten zwei große Umfragen unter deutschen Unternehmen hin, die der Untersuchung zugrunde liegen.

Neue Standorte und Lieferketten für deutsche Unternehmen.
So gaben beim „World Business Outlook 2020“ der Deutschen Außenhandelskammern (AHK) von 3.500 befragten deutschen Firmen mit Sitz im Ausland immerhin 16 % an, Veränderungen in der Lieferkette zu erwägen. 12 % von ihnen denken über die Verlagerung von Standorten nach, vor allem jene im Vereinigten Königreich und in Italien. Als Gründe dafür führen sie neben der Marktentwicklung (51 %) vor allem die Kostenoptimierung (46 %) sowie die Risikodiversifikation (36 %) an. „Vor allem in den beiden letzten Faktoren manifestieren sich die negativen Auswirkungen der Pandemie und die Bereitschaft für ein Nearshoring von Lieferketten und Standorten“, analysiert Jovanovic.

In der zweiten Umfrage, dem „Going International 2021 Survey“ des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) unter 2.400 in Deutschland ansässigen Unternehmen mit Auslandsgeschäft, klagten 40 % über Probleme bei den Lieferketten. Fast 70 % von ihnen möchten sie daher diversifizieren.

Milliarden an Direktinvestitionen möglich.
„Auch wenn nur ein kleiner Teil der befragten Unternehmen tatsächlich Veränderungen bei Lieferketten und Produktionsstandorten vornimmt, könnte das noch immer Milliarden an Direktinvestitionen für die Westbalkanländer bedeuten“, erklärt Jovanovic. Immerhin summieren sich die bestehenden deutschen Auslandsinvestitionen in aller Welt auf 1,7 Billionen Euro. Am Westbalkan sind es heute gerade einmal 2,5 Milliarden Euro, die zwischen 2010 und 2019 investiert wurden. „Es gäbe also noch genug Luft nach oben, auch bei den anderen großen westeuropäischen Investoren in der Region, namentlich den Niederlanden, der Schweiz und Österreich“, so Javonovic.

Qualifizierte Arbeitskräfte und Verkehrsinfrastruktur notwendig
Auf dem Weg dorthin empfiehlt die Studie neben der Behebung altbekannter Defizite wie schlechter Regierungsführung und politischer Instabilität aber auch eine grundlegende Änderung des Investitionsumfeldes. „Geringe Lohnkosten und niedrige Steuern spielen nicht mehr die entscheidende Rolle. Auslandsinvestoren brauchen vor allem gut qualifizierte Arbeitskräfte und Infrastruktur“, sagt Jovanovic. Für ihn impliziert das höhere Ausgaben der Regierungen für das Bildungssystem, einen verstärkten Fokus auf die MINT-Fächer, einen qualitativen Sprung bei der Berufsausbildung – Stichwort Lehre –, und einen Ausbau der Transportinfrastruktur.

Die vorliegende Studie „Getting stronger after COVID-19: Nearshoring potential in the Western Balkans” wurde in Kooperation mit den Wirtschafts- und Handelskammern Albaniens, Bosnien und Herzegowinas, Kosovos, Montenegros, Nordmazedoniens und Serbiens erstellt und finanziell vom deutschen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unterstützt.

Rückfragen & Kontakt:
Andreas Knapp
Communications Manager
Tel. +43 680 13 42 785
knapp@wiiw.ac.at

Branimir Jovanovic
Ökonom
jovanovic@wiiw.ac.at

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