Normalisierung nicht in Sicht: Unternehmen ändern ihre Einkaufsstrukturen – weniger Asien, mehr Europa

In einer zweiten Umfrage nach April 2020 haben Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik in Österreich (BMÖ; Wien), STÖHR FAKTOR Unternehmensberatung (Erkrath) und International School of Management (München) Unternehmen aus Österreich und Deutschland nach den Auswirkungen der Corona-Krise befragt. Auch im Fokus: Kunden-Lieferanten-Beziehungen und Digitalisierung.

Aktuell rechnen 40% mit Umsatzeinbrüchen zwischen -11 bis -30% im laufenden Jahr. Gut ein Drittel vermag die negativen Auswirkungen noch nicht zu quantifizieren. Kleinere Unternehmen sind in größerem Ausmaß betroffen. Die Insolvenzen werden nach Einschätzungen der 55 Teilnehmer ansteigen und sich mindestens verdoppeln. Die Mehrheit rechnet damit, mindestens bis Jahresende im Krisenmodus operieren zu müssen. Die Mehrheit geht davon aus, dass bis zu einer „Normalisierung“ mehr als neun Monate verstreichen werden.

Deutlich wird, dass Einkauf bzw. Supply Chain Management (SCM) eine erfolgskritische Bedeutung zukommt. Über 60% der Befragten sehen Änderungsbedarf bei ihrer Sourcing-Strategie. Vor allem in Asien wird das Beschaffungsvolumen mittelfristig zurückgefahren, der Stellenwert von Regional Sourcing nimmt deutlich zu. Die kontinuierliche Risikobewertung der Märkte war schon lange vor Corona angezeigt, muss aber nun mit höchster Priorität umgesetzt werden. Es gilt, die eigene finanzielle Stabilität und zumindest die der wichtigsten Lieferanten zu analysieren, um die Versorgung auch in kommenden kritischen Situationen absichern zu können.

Ausgewählte Ergebnisse:

Lieferketten und Strategien

  • Digitalisierung (65%), Risikomanagement, Lieferantenmanagement (je 62%) sowie
    Prozesseffizienz (55%) sind die dringendsten Aktionsfelder der Einkaufsleiter (CPOs);
    es folgen mit Abstand: Liquiditätsmanagement, Sachkostenreduzierung, Nachhaltigkeit etc.
  • 68% berichten von Verzögerungen in der Lieferkette, die Hälfte von Lieferausfällen;
    bei 46% ergaben sich Beeinträchtigungen durch Produktionstopps ihrer Lieferanten.
  • 38% sahen sich mit höheren Preisen konfrontiert; 17% mussten auf Qualitätsmängel
    und 13% auf Lieferanteninsolvenzen reagieren.
  • 43% haben vertragliche Vereinbarungen ausgesetzt; 24% unterstützen Lieferanten durch
    Abnahme von Produkten trotz gesunkenem Bedarf; 22% haben Vorauszahlungen geleistet.
  • 28% wollen mehr Multiple Sourcing (Ordern bei „parallelen“ Quellen) betreiben.
  • 64% werden weiter in bestehenden Regionen agieren; 24% wollen Regional Sourcing stärken.
  • Vor allem im asiatischen Raum wird das Beschaffungsvolumen mittelfristig reduziert;
    etwa: China -18%, Indien -20%, Rest-Asien sowie Russland je -17% und Nordamerika -14%.
  • Von der Verlagerung profitieren Europa und Osteuropa (je 16%).
  • Alternativlieferanten in Europa sind im Schnitt teurer, liefern aber vergleichbare oder bessere Qualität; hierfür und für eine bessere Versorgungslage ist man bereit, mehr zu zahlen.

Digitalisierung

  • Im operativen Einkauf und im Einkaufscontrolling ist die Digitalisierung am weitesten fortgeschritten; ein Großteil nennt Technologien wie eInvoicing, Data und Process Mining.
  • Künstliche Intelligenz (KI) und Blockchain wird hohes Entwicklungspotenzial bescheinigt.
  • In Sachen Lieferantenmanagement und Echtzeit-Berichterstattung werden mehr bzw.
    bessere technische Lösungen gewünscht.
  • Größte Hindernisse der Digitalisierung: mangelnde Kompatibilität zu Schnittstellen und
    Systemen (55%), nicht ausreichendes Investitionsbudget (49%), mangelnde Datenqualität bzw. Datentransparenz (43%) und festgefahrene Arbeitsweisen (40%).

Zur Einordnung

Die Auswirkungen von Covid-19 machen deutlich: Dem ausgewogenen Management von Kosten und Risiken kommt erfolgskritische Bedeutung zu. Eine kontinuierliche Risikobewertung der Liefermärkte wird nach dem Krisenmodus zu einer zentralen Anforderung an Einkauf und SCM. Dabei sind professionelle Simulationsmodelle unabdingbar. Weiterzuentwickeln sind u.a. Lieferantenbewertung, Integration des Sublieferantenmanagements und der gezielte Aufbau neuer Bezugsquellen. Erst durch höhere Prozesseffizienz in operativen Arbeitsabläufen durch Digitalisierung werden Kapazitäten für operatives Krisenmanagement und Zukunftsstrategien frei. Gleichzeitig gilt es in der gesamten Supply Chain eine schlanke Prozessstruktur für agiles Handeln zu schaffen. Neben kurzfristig wirkenden „quick-wins“ sind nachhaltige Kostenoptimierungsmaßnahmen zu entwickeln. Zusätzlich ist die Variabilisierung der Kostenstrukturen angezeigt. Der Einkauf muss auch Make-or-Buy-Entscheidungen initiieren und maßgeblich beeinflussen.

Statements

Heinz Pechek, geschäftsführender Vorstand, BMÖ

„Es ist wahrscheinlich, dass in Folge von Covid-19 mehr Unternehmen in Schwierigkeiten geraten, als zunächst angenommen wurde. Daraus erwächst für Einkauf und SCM die dringende Aufgabe, sehr viel stärker als bisher auf finanzielle Stabilität und technologische Zukunftsfähigkeit ihrer Lieferanten zu achten. Preise sind zu relativieren. Wenn Digitalisierung im Einkauf und in der Supply Chain mancherorts durch vergleichsweise zu geringe Investitionsbudgets und dann noch zusätzlich durch festgefahrene Arbeitsweisen behindert wird, verschenken Unternehmen Zukunftspotenzial. Das Virus sollte als Katalysator dienen. Die Umfrage belegt, dass Unternehmen frühzeitig technische und unternehmensinterne Schwachstellen angehen und ihre Digitalisierungs-Roadmap fortschreiben müssen. Der BMÖ unterstützt dies mit einer Vielzahl von Initiativen und Programmen.“

Patrick Stöhr, Geschäftsführer, STÖHR FAKTOR Unternehmensberatung GmbH

„Die massiven Verzögerungen in den Lieferketten und vorübergehende Produktionstopps bringen eine enorme Kostenbelastung für viele Unternehmen mit sich. Konsequenz: Künftig wird für viele Unternehmen die Beschaffungssicherheit eine besonders hohe Priorität darstellen. Das wird die Beschaffungsorganisation massiv verändern. Ohne die verstärkte Digitalisierung der Beschaffungsprozesse und die Sicherstellung der Prozesseffizienz werden sich für viele Unternehmen große Wettbewerbsnachteile ergeben. Die jetzt hierfür eingesetzten Mittel werden sich zeitnah durch Kosteneinsparungen und Prozesssicherheit amortisieren.“

  

Mehr:

Management Summary (8/2020)
http://www.bmoe.at/downloads/Presse/Presse_2020/Management_Summary_Umfrage_SRM_in_Zeiten_von_Covid_19_Aug_2020.pdf

Vollständige Auswertung der Umfrage (8/2020)
http://www.bmoe.at/downloads/Presse/Presse_2020/Ergebnisse_Studie_SRM_und_Covid_19_August_2020.pdf

Rückblick: Management Summary (4/2020)
http://www.bmoe.at/downloads/Presse/Presse_2020/Management_Summary_Umfrage_Corona_Krise_April_2020.pdf

 

SAVE-the-DATE: virtueller Round Table am 09. September 2020
Details folgen unter: http://www.bmoe.at/Veranstaltungen/RT_ET/

 

BMÖ-Jahreskonferenz “Österreichisches EinkaufsForum 2020”
http://www.bmoe.at/Veranstaltungen/OEF/

 

 

Rückfragen und Kontakt:

BMÖ – Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik in Österreich
Liechtensteinstraße 35, 1090 Wien, Österreich
Mail: sekretariat@bmoe.at
Telefon: +43(0)1 367 93 52
www.bmoe.at

STÖHR FAKTOR Unternehmensberatung GmbH
Düsselstraße 4 a, 40699 Erkrath, Deutschland
Mail: patrick.stoehr@stoehr-faktor.de
Telefon: +49(0)211 977 19 600
www.stoehr-faktor.de

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